Brunhilde Sonntag, Hans-Werner Boresch, Detlef Gojowy (Hg.)

Die dunkle Last - Musik und Nationalsozialismus

/Ausschnitte aus dem Buch/

LESEPROBE

Vorwort

Der vorliegende Band „Die dunkle Last”. Musik im Nationalsozialismus und danach hat die Referate der beiden Symposien „Die dunkle Last”. Musik im Nationalsozialismus (Bergische Universität - Gesamthochschule Wuppertal, 17. - 21. Mai 1995) und „STUNDE NULL? Musik in Deutschland 1945 (Katholische Akademie Franz Hitze Haus, Münster, 5. - 7. Mai 1995) zur Publikation zusammengefaßt. In den vorbereitenden Gesprächen der Symposien waren sich die Veranstalter der Probleme bewußt, die ein solches Thema notwendigerweise provoziert. Hans-Werner Boresch gab dem in seinem Vorwort der Symposionsbroschüre der Wuppertaler Veranstaltung Ausdruck, wenn er darauf hinwies, daß das „Symposion – fast möchte man sagen: notwendigerweise – Mißverständnissen ausgesetzt [ist], zumal sich die Themen fast ausschließlich auf die ‘offizielle’ Musik beziehen.” Dieser Schwerpunkt hat sich im Rückblick als Notwendigkeit einer Aufarbeitung der Kulturgeschichte der Nazizeit bestätigt, die Aufklärung über die vielschichtigen Verknüpfungen von Musik und Musikern in die Zwänge einer militanten Diktatur und deren ideologisch vereinnahmter Kulturpolitik als ein wesentlicher Beitrag zur musikwissenschaftlichen Erforschung der NS-Zeit erwiesen. Die Referate legten die Vielschichtigkeit offen, in der sich Kultur in die Politik eines diktatorischen Systems verstricken kann: sie schlägt sich nieder etwa in den Verhaltensformen von Künstlern, die sich zwischen Hingabe und Widerstand bewegen kann; in der Ausnutzung finanzieller Interessen auf Kosten einer von einer politisch unabhängigen Musikerziehung bestimmten Musikpraxis; in der Inanspruchnahme oder Ablehnung privater Vorteile durch Anpassung; in der totalen Verinnerlichung einer Ideologie durch die entsprechende Stoffwahl künstlerischer Produkte mit akklamierender Tendenz; in der Verweigerung durch ‘Innere Emigration’ bis hin zu Verfolgung und Tod. Dieses kam zur Sprache, wurde – nach gründlichen Recherchen – referiert, wurde diskutiert und in die Unzulänglichkeiten einer musikwissenschaftlichen Forschung und Musikgeschichtsschreibung, die einerseits auf ‘oral history’ angewiesen ist, andererseits wahrscheinlich niemals restlos aufklären kann, eingeordnet. Die beiden Symposien haben darüberhinaus Anregung zu weiteren Forschungsarbeiten gegeben, deren Themen aus dem Gesamtkomplex der Tagung erwachsen sind. (...) (...)

JOST HERMAND  Die Kulturszene im Dritten Reich
(...)
Nach der Niederringung des NS-Regimes durch die Rote Armee und dann auch die US- Amerikaner versuchten sich diese Schichten aus der ideologischen Schlinge zu ziehen, indem sie den deutschen Faschismus - diesen ‘Terror der Halbgebildeten’, wie sie ihn jetzt nannten - als ein Regime hinstellten, das ihnen von vornherein höchst suspekt erschienen sei und dem sie sich durch einen Rückzug in die ‘heil'gen Hallen’ der christlichen und abendländisch- humanistischen Kulturtraditionen entzogen hätten. Und so erschien der Faschismus innerhalb dieser Perspektive, vor allem in den drei westlichen Besatzungszonen und der im Zuge des Kalten Krieges 1949 gegründeten Bundesrepublik, fast nur noch als ein spezifisch ‘unbürgerliches’ System, das sich gegen die Freiheit des Einzelnen gewandt habe und daher ebenso abzulehnen sei wie der Kommunismus, dessen Hauptintention ebenfalls die Unterdrückung des bürgerlichen Individuums zugunsten staatlicher Zwangsmechanismen sei, wofür in der unmittelbaren Nachkriegszeit erst auf die Sowjetische Besatzungszone und dann die Deutsche Demokratische Republik hingewiesen wurde. Wer im Dritten Reich nicht unmittelbar an der Macht beteiligt war, konnte sich also im Zuge solcher Entlastungsstrategien mit gutem Gewissen als Nicht-Nazi, ja sogar als Anti-Faschist bezeichnen. Schließlich war im Gefolge solcher Anschauungen nicht mehr die Gesinnung das Entscheidende, sondern allein die unmittelbare Beteiligung an den ausführenden staatlichen Organen. Demzufolge fühlten sich viele der früheren Parteimitglieder, die zwar anfänglich durchaus an Hitler geglaubt hatten oder ihm geistig nachgelaufen waren, nach 1945 oder spätestens nach 1948/49, als in den drei Westzonen die große Amnestie einsetzte, von allen Schuldkomplexen befreit. Wer sich einmal die Mühe macht, die Zeitungen und Zeitschriften der Zeit um 1933/34, aber auch der Jahre danach, zu studieren, dem werden die bürgerlichen Intellektuellen, die mehrheitlich im Dritten Reich verblieben und nicht ins Exil gegangen waren, in einem ganz anderen Licht erscheinen. Wohin man auch blickt, strotzt es hier nur so von gläubiger Zustimmung, euphorischer Begeisterung oder gar pseudo-religiöser Auferstehungssehnsucht. Nicht die Massen der Halbgebildeten oder die als ‘niedrig’ empfundenen Arbeiterschichten steigerten sich in diesen grenzenlosen Bejahungsrausch hinein, sondern gerade jene bürgerlichen Intellektuellen, die ansonsten so stolz auf ihre reservatio mentalis sind und es später ‘nicht gewesen sein wollten’. Es liegt mir fern, solche Menschen von vornherein ideologisch abzukanzeln, obwohl man allen Grund dazu hätte, denn schließlich haben sie sich durch ihre naive Blindheit oder ihren offenkundigen Bildungshochmut an den folgenden Ereignissen durchaus mitschuldig gemacht. Aber lassen wir diesen Problemkomplex erst einmal beiseite und fragen wir uns, wie es eigentlich im Jahr 1933 zu diesem weitverbreiteten Bejahungsjubel kommen konnte, in den selbst ernst zu nehmende, ja weltberühmte Intellektuelle, Professoren und Künstler eingestimmt haben. Wie war es nur möglich, daß der führende Germanist der Weimarer Republik, der Berliner Ordinarius Julius Petersen, an dessen wissenschaftlicher Qualität nicht zu rütteln ist, im Jahr 1934 in seinem Buch Die Sehnsucht nach dem Dritten Reich die Sätze publizieren ließ:

„Nun ist das Morgen zum Heute geworden. Weltuntergangsstimmung hat sich in Aufbruch verwandelt. Das neue Reich ist gepflanzt. Der ersehnte und geweissagte Führer ist erschienen.” (1)

Und wie konnte es kommen, daß selbst ein Mann wie Martin Heidegger, in dem heutzutage viele den wichtigsten Philosophen des 20. Jahrhunderts sehen, am 3. November 1933 vor Freiburger Studenten erklärte:

„Nicht Lehrsätze und ‘Ideen’ seien die Regeln eures Seins; der Führer selbst und allein ist die heutige und künftige deutsche Wirklichkeit und ihr Gesetz.” (2)

Und solchen illustren Stimmen ließen sich viele andere anfügen, die in der Heraufkunft des neuen Reichs den entscheidenden Wendepunkt in der neueren deutschen Geschichte erblickten. Wie gesagt, es geht mir dabei weniger um Schuldzuweisungen als um die Frage, wieviel Erbitterung über die Zeit davor sich bei solchen hochgebildeten Menschen angestaut haben mußte, daß sie den Machtantritt Hitlers als so ‘befreiend’, wenn nicht gar ‘beglückend’ empfanden und in ihren Schriften oder politischen Absichtserklärungen immer wieder darauf zurückkamen, das neue Reich als die endgültige Erfüllung all ihrer geheimen und offenen Wünsche hinzustellen. Genau besehen, hängt das mit dem weitverbreiteten Unbehagen dieser Schichten an der Weimarer Republik zusammen, deren Kultur ihnen gar nicht so positiv erschien, wie sie heute von bürgerlich-liberalen Intellektuellen gern hingestellt wird. Für diese Schichten war die Weimarer Kultur nicht in erster Linie jene faszinierende Folge von Phänomenen wie Dada, Merz-Kunst, Bauhaus, Zwölftonmusik, Konstruktivismus, Epischem Theater, Piscator-Bühne, Jazz-Musik, politischem Kabarett, ersten Radioexperimenten, linksliberalen Zeitstücken, neusachlicher Malerei, Zeitschriften wie der Weltbühne, Großstadtromanen wie Berlin Alexanderplatz, Filmen wie Metropolis oder Symphonie einer Großstadt, Zeitopern wie Jonny spielt auf sowie anderen spezifisch modernistischen Innovationen, welche die Kulturwissenschaftler in aller Welt bis heute in Atem halten und die gern als die bedeutendsten Leistungen der deutschen Kultur des 20. Jahrhunderts herausgestrichen werden. Den eben erwähnten Schichten erschien die Weimarer Kultur noch als etwas ganz anderes, nämlich als eine weitgehend negativ gesehene Periode der Technikverkultung, der Vergroßstädterung, der Amerikanisierung, der ‘Verjudung’, ja der allgemeinen Ausländerei, die dazu geführt habe, daß die deutsche Kultur, welche wegen ihrer Selbstbewußtheit und Größe vor dem Ersten Weltkrieg einmal Weltgeltung besessen habe, zur Prostituierten eines internationalen Zeitgeschmacks herabgesunken sei, die jeden Stolz auf ihre edle Herkunft verloren habe und sich mit jedem einlasse, der sie mit dem nötigen vulgären Charme umbuhle. (...) Soviel - höchst skizzenhaft - zu den drei wichtigsten Kunstgattungen dieser Ära. Da hierüber bereits unzählige Bücher erschienen sind, möchte ich es bei diesen Andeutungen belassen. Was dagegen auf diesem Gebiet wesentlich seltener in den Vordergrund gerückt wurde, ist das Verhalten jener kulturbewußten Besitz- und Bildungsbourgeoisie, die sich damals mehrheitlich für diesen Kurs eingesetzt hat und die es nach 1945 ‘nicht gewesen sein wollte’. Daher hat man in den Publikationen zur NS-Kulturpolitik seit Hildegard Brenner und Joseph Wulf immer wieder die einzelnen Parteiverordnungen, Zensurerlasse und Säuberungsaktionen in den Vordergrund gerückt, um so das Unfreiheitliche, Diktatorische, Totalitaristische der Nazi-Herrschaft herauszustellen, ist aber selten oder nie darauf eingegangen, welche breite Zustimmung diese Verordnungen in den Anfangsjahren des Dritten Reichs in den Reihen seiner nur allzu willigen Anhänger und Mitläufer gefunden haben. Um dabei nicht in allzu große Pauschalisierungen zu verfallen, die sich bei solchen knappen Überblicken ohnehin einstellen, sei wenigstens kurz auf die einzelnen Spielarten dieser nationalkonservativen Gesinnung eingegangen, welche schon im Verlauf der Weimarer Republik aus dem Wilhelminisch-Monarchistischen immer stärker ins Protofaschistische überging, was sich vor allem an der Universitätselite der Jahre zwischen 1919 und 1933 nachweisen ließe. (3) Wie bei all solchen Gruppen gibt es auch hier mehrere Untergruppen, die sich - idealtypologisch gesehen - in drei Kategorien unterbringen lassen:

1. die wahrhaft Gläubigen, die 1933 tatsächlich hofften, daß mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten die deutsche Kultur endlich ein alle Volksgenossen erhebendes und veredelndes Gemeingut werde,

2. die aristokratisch Distanzierten, die zwar auch von der weltmissionarischen Größe der deutschen Kunst überzeugt waren, aber die von der NSDAP praktizierten Taktiken für zu plump, halbgebildet oder kleinbürgerlich hielten, und

3. die Mitläufer, Opportunisten und Wendehälse, die sich bei jedem Regierungswechsel mit besonders übertriebenem Gesinnungseifer in den Vordergrund zu drängen versuchen.

Lassen wir die Wendehälse oder ‘Märzgefallenen’, wie man damals sagte, einmal beseite, und konzentrieren wir uns abschließend vorwiegend auf jene Gruppe des nationalkonservativen Geistes, die von dem Flügel der wahrhaft Überzeugten bis zum Flügel der aristokratisch Distanzierten reicht, welche man später in der Kategorie der Inneren Emigration untergebracht hat. (...) (...) Diesen Schichten war nicht die vielstrapazierte ‘Freiheit’ der höchste Wert, in der sie lediglich eine Gefährdung des deutschen Geistes und der hohen Kultur durch eine nicht aufzuhaltende Kommerzialisierung sahen. Sie erkannten sehr wohl, daß das marktwirtschaftliche Prinzip von Angebot und Nachfrage nur das ‘Niedere’ befördern und damit zu einer Herabwürdigung aller höheren Werte führen würde. Ihr Anspruch auf Führung, auf Zensur, auf Nationalpädagogik hat daher bei ihren besseren Vertretern stets auch eine ‘sozialistische’ Note. Manchen unter ihnen ging es tatsächlich darum - inmitten der sich maßlos ausbreitenden Massenmedien -, dem Besseren, Höheren, Edleren zum Siege zu verhelfen und damit den Deutschen endlich den Weg zu der einen, großen, gebildeten, kulturbewußten Nation zu ebnen. In diesem Punkt waren die Gläubigen unter den frühen Nationalsozialisten wirklich nationale Sozialisten, die in dem Programm der NSDAP eine echte Utopie, nämlich die Utopie einer allmählich zu sich selbst kommenden Kulturnation erblickten. Allerdings sahen sich gerade diese Hoffnungs- und Vertrauensvollen bereits nach wenigen Monaten oder Jahren getäuscht. Schließlich schaffte die NSDAP die sogenannten Massenmedien nach ihrem Machtantritt keineswegs ab, sondern ließ sie als Muntermacher zur Volksbelustigung durchaus weiterbestehen. Gut, sie förderte auch die hohen Künste, sehr energisch sogar, aber letztlich blieb die bisherige Spaltung in eine kommerzialisierte U-Kunst und eine anspruchsvolle E-Kunst auch im Dritten Reich weitgehend erhalten. Und das mußte die Idealisten unter seinen Anhängern, die sich von diesem Staat ein Reich der hohen, ja der höchsten Kultur versprochen hatten, zutiefst erbittern. Vor allem als im Verlauf des Zweiten Weltkriegs die Stimmung in Deutschland zusehends mulmiger wurde, förderte die NSDAP immer stärker eine ablenkende, sentimental-verkitschte oder zum Klamauk tendierende Unterhaltungskunst, durch welche der von den NS-Fanatikern herausgestellte ‘heroische’ Charakter dieses Krieges fast eine makabre Note bekam.
(...) (...)

DETLEF GOJOWY Gesunde Kunst in großer Zeit

„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt ...” -

diesen Beginn von Franz Kafkas Erzählung Die Verwandlung zitierte Nyota Thun, Dozentin an der Humboldt-Universität, in ihrer Vorlesung über Sowjetliteratur im Herbstsemester 1952. Für mich war dies die erste und folgenreiche Begegnung mit dem Werk dieses Dichters, über den ja in der Nazizeit sowieso, aber auch in der frühen DDR offiziell nichts verlauten konnte. Nyota Thun, Romanistin und Slawistin, Verfasserin einer von der Akademie der Wissenschaften der DDR herausgegebenen Monographie zur frühen Sowjetliteratur, (1) benutzte dieses Beispiel, um darzulegen, was kranke und was gesunde Kunst sei. Ungesunde, typisch kapitalistische Kunst sei diese Erzählung des „dekadenten amerikanischen Schriftstellers Kafka”, die einen Krankheitszustand ausmale und daher selber krankhaft sei - gesunde Kunst sei dagegen z. B. die kämpferische Lyrik von Vladimir Majakovskij, der die Sowjetunion besang als ein Land, das seinen Weg machen werde, eben weil sie optimistisch sei, und die bürgerliche Ästhetik habe er mit dem Futuristenmanifest Eine Ohrfeige dem öffentlichen Geschmack (Poš e ina obš estvennomu vkusu) (2) schon 1912 als morsch und überholt entlarvt. „Mein Land ist ein Knabe”, so hatte er gedichtet, und damit das Ideal der zukunftsträchtigen Jugendlichkeit für die sozialistische Welt reklamiert. Es war ein damals weitverbreitetes Ideal; auf italienisch etwa klang seine Manifestation so:

Klangbeispiel Giovinezza (Text und Musik: Giuseppe Blanc)

Giovinezza, das war die Hymne der italienischen Faschisten, die in jenen Jahren ihr Land aus Schlendrian und musealer Bedeutungslosigkeit zu neuer römischer Größe emporführen wollten. Doch auch sonst haben wir in jener Zeit oft und überall mit jenen heilverheißenden Knabengestalten zu tun. Eine haben wir in unserer Jugend - manche von uns verspätet - in der Gestalt von Antoine de Saint- Exupérys Kleinem Prinzen als trostreich und wie eine geheime Lebenskraft kennengelernt. Eine andere ist uns auch in unserer Jugend begegnet, gleichgültig, ob dies eine Ost- oder eine West-Jugend war, denn Schulmusiker aller Kulturen waren und sind immer noch versessen auf sie, ungeachtet ihrer stalinistischen Vergangenheit: das ist der junge Pionier Petja, der allen Warnungen der Älteren und Vernünftigeren zum Trotz sich in Gefahr begibt, aber nicht darin umkommt, sondern es fertigbringt, den großen, grauen Wolf, jene archetypische Märchenfigur des Bösen, zu überwinden und gefangen in einen sowjetischen Zoo zu überführen, in die pax sovietica zu integrieren.

Klangbeispiel: Prokofjew Petja i volk (russ.) (...)

Alles, was da in der Vergangenheit bedrohlich war, hatte nunmehr die Aussicht, durch die neuen, gesunden Kräfte der politischen Gegenwart auf dem Wege in die glückliche neue Gesellschaft für immer ausgeschaltet, unschädlich gemacht zu werden. Frappierend bleibt dabei die frisch-fröhliche, gigantische Schamlosigkeit dieser Konstellation: hier der Märchenwolf aus grauer Vorzeit, da die hochaktuelle Figur eines Mitglieds des kommunistischen Kinderverbandes, der, auch alten russischen Traditionen entsprechend (man denke da an die exerzierenden Knaben in der Eingangsszene von Tschaikowskys Pique Dame) natürlich den Namen einer militärischen Formation trug: Pioniere. Zum Vergleich: in Italien gab es eine entsprechende Kinderorganisation Mosquettiere = Musketiere im paramilitärisch organisierten Verband Balilla junger Faschisten.

Prokofjew war, als er seinen „Pionier Peter” schrieb, gerade resigniert aus westlichem Exil in die Heimat zurückgekehrt, wo sein Name bis dahin keineswegs unumstritten, doch auch nicht unbekannt geblieben war. Die ‘Assoziation für zeitgenössische Musik’ hatte sich seiner Werke wie derer des gleichfalls emigrierten Strawinsky schon in den 20er Jahren angenommen und war darob in die wütenden Attacken der konkurrierenden ‘Assoziation Proletarischer Musiker’ geraten, die diese Neue Musik als „Fäulnisprodukt der bürgerlichen Gesellschaft” betrachtete und ihre Verfechter wie Nikolaj Roslavetz für ein halbes Jahrhundert aus der Musikgeschichte ausschaltete oder gar, wie Alexander Mossolow, ins KZ sperrte; bezüglich von Prokofjew fielen damals auch Vorwürfe wie ‘faschistisch’, gleichsam als ob es den Faschisten nicht eben um eine gesunde Kunst für die künftigen großen Zeiten gegangen wäre. Solche jedenfalls schien den Reifen und Besonnenen jener Zeit als die verbindliche Lösung.

In einem Rechenschaftsbericht, den Aldrej Jurovskij anläßlich des 10. Jahrestags der Oktoberrevolution über die Tätigkeit des Staatlichen sowjetischen Musikverlages GOSIZDAT in der Zeitschrift Musik und Revolution abgab, (3) lesen wir z. B. folgende Sätze:

„Eine starke Vorherrschaft erlangte in der Tätigkeit des Musikverlages in der anfänglichen Periode die ‘linke’ Richtung. Der Hauptgrund hierfür war die persönliche musikalische Richtung des Hauptes der Musikabteilung, Arthur Lourié, eines extremen Anhängers der äußersten linken Strömungen der westlichen Musik. Dieser Laevismus der Richtung des Musikverlages war keine zufällige Erscheinung; er war verknüpft mit der für jene Zeit allgemeinen Tendenz der Einbürgerung des Futurismus in allen Bereichen der Kunst.”

(...) (...)

Man wird in jenen frühen Jahrzehnten dieses Jahrhunderts kaum ein Zeugnis, einen Autor finden, der nicht die Überzeugung geteilt hätte, in einer großen Zeit zu leben, in der Zeit eines gewaltigen Umbruchs und des Beginns einer neuen Epoche in der Kunst und im Leben, für welches hohe Ziel natürlich auch Opfer gebracht werden müßten, in der Kunst wie im Leben. Die Sehnsucht nach dem schönen neuen Leben umschloß die ethisch fundierte Inkaufnahme von Unrecht, die Bereitschaft zur Hingabe an ein großes Ganzes, an die Volksgemeinschaft, die Ausschaltung kleinmütigen Egoismus, die Vernichtung der Feinde des großen Welterneuerungsplans, waren dies nun Kulaken, kleinbürgerliche Spekulanten und Schieber, wie sie in Prokofjews Ballett Stalnoj skok [Der stählerne Sprung] (später auch bei Schostakowitsch) total verachtenswürdige Figuren abgeben, oder das internationale jüdische Finanzkapital im Verein mit Freimaurern und Jesuiten oder Wurzellose, zersetzende Intellektuelle schlechthin, die die Einsicht in die Notwendigkeit nicht als Freiheit erkennen wollten. „Demokratie ist nicht viel - Sozialismus ist das Ziel“, hieß es 1929 auf Transparenten bei Internationalen Sozialistischen Jugendtreffen in Wien. Der israelische Musikforscher Peter Gradenwitz erinnert sich, wie er seinerzeit noch in Berlin von Hanns Eisler eine Einführung in Schönbergs Kompositionssystem erhoffte, dieser ihm aber statt dessen empfahl, Märsche fürs Proletariat zu komponieren.

Wie sah diese neue gesunde Kunst für die zukünftige große Zeit aus, wie sollte sie aussehen? Zwei Zitate hierzu:

(...) (...)

Erinnern wir uns nebenbei, daß im faschistischen Italien 1938 die Sie-Anrede verbindlich abgeschafft wurde, oder an eine scheinbar nebensächliche Gemeinsamkeit faschistischer, stalinistischer und nationalsozialistischer Diktatur: die hohe Wertschätzung, die dem neuen Medium des Films als einer besonderen Industrie, als „äußerst wirksamem Instrument zur Verbreitung von Idee und geistiger Haltung unter den Massen” beigemessen wurde, führte jeweils dazu, daß es der Obhut des Kulturministeriums entzogen und dem Propagandaministerium unmittelbar unterstellt wurde, was absurder-, aber nicht zufälligerweise zu einer gewissen exemten Stellung, zu einem höheren Maß an künstlerischer Freizügigkeit für die Filmmusik führte, in der Komponisten ihren Lebensunterhalt verdienen und der Komponistenverband ihnen nicht dreinreden konnte: Schostakowitsch, Alfred Schnittke oder Nikolaj Karetnikov haben später in dieser Nische Jahre des Berufsverbots überlebt. Umfangreiche und den Rahmen dieses Beitrages jedenfalls sprengende Überlegungen und Recherchen könnten der Frage gewidmet werden, inwieweit Lehren, Ideen und Utopien des Futurismus samt seiner Vorgänger wie Friedrich Nietzsche oder Georges Sorel die sozial- kulturellen Utopien und Maßstäbe der genannten Diktaturen wirksam und substantiell geprägt haben, etwa der ur-futuristische Gedanke der Vereinigung von Kunst und Leben, der dann natürlich in andere Weise auch für die Bauhaus-Architektur oder die Idee des Ausdruckstanzes den Anstoß gab. Wie vom avantgardistischen Aufbruch der 10er Jahre zur Diktatur des Sozialistischen Realismus trotz aller späteren Verfemung der futuristischen Avantgarde letztlich doch eine logische Leitlinie führte, hat Boris Groys in verschiedenen Arbeiten (6) dargelegt, wobei zu unterscheiden ist, daß jene Verfemung der frühen Avantgarde als ‘entartet’ oder ‘formalistisch’ zwar in Deutschland oder Rußland geschah, nicht jedoch in Italien, wo man Namen und Werk des Futuristen Marinetti immer hoch hielt. Dennoch und unbestreitbar gab es zwischen den Zielen der super-individualistischen Futuristen von 1910 und den gemeinschaftstrunkenen Klassizisten der 30er Jahre etwas, was man auch aus heutigem Abstand als einen großen geistigen Bruch sehen muß, eine Umkehr, die sich oftmals in Biografien von Künstlern ganz bewußt und mitunter schmerzlich vollzog, und diese war wohlgemerkt nicht auf die Bereiche faschistischer, nationalsozialistischer oder kommunistischer Diktaturen beschränkt. Ein Musterbeispiel wäre der oben als linker Außenseiter angesprochene Komponist Arthur Lourié aus St. Petersburg, seinerzeit 1914 Mitunterzeichner des Futuristenmanifests Wir und der Westen - Unsere Antwort an Marinetti, zusammen mit dem Maler Georgij Jakulov, der später mit Prokofjew zusammenarbeitete, und dem Lyriker Benedikt Lifschitz, der später in einem Stalinschen Lager umkam. In diesem Petersburger Manifest standen atemberaubende künstlerische Visionen, die die der italienischen Futuristen an utopischem Schwung übertrafen. Einmal sollten die drei Künste Malerei, Poesie und Musik unter gemeinsame Prinzipien gestellt werden: willkürliches Spektrum, willkürliche Tiefe und die Selbständigkeit der Tempi, als Methoden der Verkörperung, der Rhythmen, als unanfechtbar. Aus der Malerei sollte die trigonometrische Perspektive, also die Dreidimensionalität verschwinden und das musikalische Prinzip der Dissonanz in sie eingehen, in der Poesie sollten Wortsorten nach physikalischen Eigenschaften unterschieden werden und die bisherigen assoziativen Verknüpfungen zugunsten ferner Gedankenverbindungen vermieden werden. (So ähnlich hatte es auch Marinetti gefordert.) In der Musik schließlich sollten die klassischen, architektonischen Formbauprinzipien aufgegeben werden zugunsten einer „primitiven Synthese”, und die Elemente, die Baumaterialien, sollten „substanziell” werden, d. h. selbständig formbildend. Dies alles sind eigentlich schon keine Utopien, sondern Prozesse, die sich in der Entwicklung der damaligen Musik analysierend verfolgen lassen, und das kühne Konzept dieses Futuristenmanifests hat insofern nicht nur visionäre Züge, sondern auch deskriptive - in vieler Hinsicht wäre es als Verständnisschlüssel für die verschiedensten künstlerischen Erscheinungen der Moderne denkbar und brauchbar. Allein und jedoch: dieses kühne, die Welt der Kunst neu umspannende Konzept wurde von seinem Mitschöpfer nach kaum einem Jahrzehnt aufgegeben, sozusagen kampflos und ohne einen ersichtlichen äußeren Grund. Arthur Lourié war 1917, wie viele der symbolistischen und futuristischen Künstler, z. B. sein angebetetes Vorbild Alexander Blok, mit fliegenden Fahnen ins Lager der Bolschewiki geeilt, deren Oktoberrevolution sie die schließliche Welterlösung zutrauten. So wie Marc Chagall und Wassili Kandinsky im Kunstbereich, Valerij Brjussow und Vsevolod Meyerhold im Literatur- und Theaterbereich war Lourié von 1917 bis 1922 als Kunstkommissar für den Musikbereich im Kultusministerium Anatolij Lunatscharskis tätig; ihm oblag z. B. die Nationalisierung der bisherigen privaten russischen Musikverlage und die Gründung des sowjetischen Staatlichen Musikverlages, wobei er, wie 1927 kritisiert und oben zitiert, den ‘linken’, also experimentellen Richtungen weiten Raum gab. Aber schon 1922 verzweifelte er an der Unmöglichkeit, unter sowjetischen Verhältnissen die ihm vorschwebende freiheitliche Kulturpolitik zu realisieren, und kehrte von einer Dienstreise nach Berlin und Paris nicht zurück. Hier nun, im Lande des Kleinen Prinzen, vollzog sich in seinen Kulturanschauungen jener radikale Wandel, der ihn verbrennen ließ, was er bisher anbetete, und anbeten, was er bisher verbrannte - vielleicht unter dem Einfluß seiner neuen Freunde aus dem linken katholischen Lager: des Philosophen Jaques Maritain und des Theologen und Ästhetikers Henri Marrou alias Henri Davenson. (...) (...) Mit diesen Betrachtungen, wie man ungesunde Kunst unter der Maske von gesunder einschmuggelt, haben wir schon das überaus schwierige Terrain unter dem Stichwort ‘Anpassung und Widerstand’ betreten, das uns bis in die Gegenwart hinein mit so vielen Zweifelsfällen der Bewertung konfrontiert: Martin Heidegger, Ernst Jünger, Ernst Wiechert oder Gottfried Benn in ihrem anfänglichen Verhältnis zum Naziregime auf der einen Seite, die Stalin-Vergötterer Lion Feuchtwanger, Bertolt Brecht oder Heinrich Mann auf der anderen sind literarische Fälle solcher Ambivalenz; in der Musik wären es die Nicht- Emigrierten wie Hans Pfitzner, Richard Strauss, Wilhelm Furtwängler, die auf ihre Weise den Frieden mit dem Regime zu halten gezwungen waren; auch gegen Wolfgang Fortner, Hugo Distler oder gar Alban Berg und Anton Webern wurden entsprechende Vorwürfe laut. Wie weit sie berechtigt sind oder nicht, ist hier nicht unser Thema und kann es nicht in diesem kurzen Zeitraum sein, wir wollen auch kein Wort mehr von Prokofjew oder Schostakowitsch sagen, doch sei hier noch ein wenig - um des Verständnisses willen - die Rede von Mechanismen der Anpassung und den fortdauernden, unbefragten Vorstellungen von ‘gesunder Kunst’. (...) (...) Religiöse Kunst hat mit der ‘gesunden Kunst’ in der ‘großen Zeit’ nie recht harmonisieren wollen - sie galt immer als Überbleibsel und erwies sich in der alltäglichen Kultur als eine unbedeutende Nische, die an den großen Bewegungen der Zeit natürlich keinen Anteil hatte und beanspruchen wollte, in der aber immerhin dieser und jener Kirchenmusiker schlecht dotiert überdauern konnte und in deren Bereich sich Opposition gegen den Zeitgeist zusammenfand. So funktionierte dies nach meinem Erinnern in der Zeit des ‘Dritten Reiches’ - wer z. B. im Kreuzchor mitsang, war vom Pimpfdienst befreit - und später jedenfalls in der Kulturpolitik der DDR. Da waren Strawinsky und Schönberg gleichwie der Jazz inzwischen für volksfremd und formalistisch erklärt - allein die Kantorei der Evangelischen Kirchenmusikschule in Dresden konnte es damals im Sonderbereich des Gotteshauses an der Großhainer Straße wagen, Ernst Kreneks Lamentatio Jeremiae Prophetae in deutscher Erstaufführung zu singen. Das war dann keine kranke, keine volksfremde und formalistische Musik, als die sie in einem öffentlichen Veranstaltungsraum wohl unterbunden worden wäre, sondern eine religiöse, also nebensächliche Erscheinung. Als solche wurden dann in den 50er Jahren in der DDR auch Willy Burkhard oder Ernst Pepping als avancierteste Erscheinungen des musikalischen Fortschritts gehört - von denen, die die Kirchen zu finden wußten, wo ihre Werke erklangen. Den ungesunden Jazz gab es inzwischen nur noch in Privatzirkeln. Bei dieser grundsätzlichen Inkompatibilität religiöser Musik mit der gesunden Kunst für große Zeiten ist es kein Wunder, wenn nach dem Zusammenbruch des Sowjetregimes Rußland und die seinerzeit unterworfenen Länder heute geradezu von einer Welle religiöser Musik überschwemmt werden. Auch ehemals überzeugte Parteiveteranen, die vormals Lenin- Oratorien und Gedenkoden für die Oktoberrevolution schrieben, komponieren inzwischen, die großartigen und lange unterdrückten byzantinischen Traditionen aufgreifend, für ihren himmlischen Vater. Neben der gesunden Kunst wäre immer die ungesunde wachsam im Auge zu behalten, deren Bild sich im gesunden Volksbewußtsein über die Jahrzehnte als solches erhielt, wie auch die gesunde Volksgemeinschaft allzeit ihre auszugrenzenden, lebensunwerten Gegner benötigt: „Wenn wir brüderlich uns einen, schlagen wir des Volkes Feind“, hieß es ja bei Johannes R. Becher in der Nationalhymne der Deutschen Demokratischen Republik. Dazu gehörten im Sprachgebrauch der letzten Jahrzehnte Ausbeuter und Kapitalisten, jüdische Plutokraten, wurzellose Intellektuelle, Meckerer und Miesmacher, Spekulanten und Kriegsgewinnler, Schieber und Hamsterer, Agenten, Saboteure und Diversanten - sie alle standen außerhalb des schönen großen Menschheitsprogramms der Völkerversöhnung. ‘Freude schöner Götterfunken’ - das könnte zum Zündfunken werden für Pogrome, für die Ausrottung und Vertreibung ganzer Völkerschaften. (...) (...)

Zentrum und Ausgangspunkt all jener volksfeindlichen Umtriebe war natürlich jenes Land, das von den Geldsäcken und jüdischen Plutokraten regiert wird: die Vereinigten Staaten von Amerika mit ihrer „Kulturbarbarei“. Wie war wohl die Slawistin Nyota Thun darauf gekommen, Franz Kafka als Amerikaner einzuordnen? Weil er den Roman Amerika geschrieben hatte? Oder weil seine Schriften im New Yorker Verlag Schocken erschienen waren? Das war damals die einzige verfügbare Ausgabe seiner Schriften, und auf die stürzte ich mich im Lesesaal der Berliner Universitätsbibliothek. Außer Haus geben wollte die Bibliothek die Bände nicht: verboten sei Kafka wohl nicht, aber die Volkspolizisten wüßten das manchmal nicht so genau, und wenn die Studenten dann übers Wochenende nach Hause führen, könnten die Bücher ihnen bei den Zugkontrollen weggenommen werden, und die Bibliothek hätte dann den Ärger damit, sie zurückzubekommen. (...) (...) Daß Musikfestivals wie der Warschauer Herbst oder die Zagreber Biennale, die seit den 50er und 60er Jahren all diese jahrzehntelang verfemte Musik aufzuarbeiten begannen, nicht eigentlich nur Musikfestivals waren, sondern letztlich politische Veranstaltungen, konnte nur aus westlicher Unschuldsperspektive erstaunlich und überraschend erscheinen; die Vertreter der ‘gesunden Kunst’ haben sie nach Kräften bekämpft. Diese Kämpfe sind schon vergessen. Aber die Begriffe und Empfindungsweisen dieser versunkenen Welt stellen letztlich eine Gewissensfrage an uns selbst. (...)
 

BIRGITTA MARIA SCHMID: Musikwissenschaft im ‘Dritten Reich’

(...) Die Situation der Musikwissenschaft im ‘Dritten Reich’ ist paradigmatisch für wissenschaftliche Forschung in einem totalitären System und führt so über den engen Fachbereich hinaus. Als Quellen für den Niederschlag äußerer, politisch vorgegebener Bedingungen in Forschung und Propaganda während des ‘Dritten Reiches’ bieten sich neben den wissenschaftlichen Publikationen deutscher Musikforscher deren Veröffentlichungen in populärwissenschaftlichen Zeitschriften an. Als problematischer erweist sich bereits die Frage, wer unter die Musikwissenschaftler zu rechnen sei. Berücksichtigt man nur die universitären Vertreter des Faches, zieht man den Kreis mit Sicherheit zu eng, hatte die Deutsche Musikgesellschaft, in der die Musikwissenschaftler zusammengeschlossen waren, in den 1920er Jahren doch durchschnittlich 650 Mitglieder, von denen nur ein geringer Teil an Universitäten angestellt war. Diese Untersuchung konzentriert sich deshalb auf namhafte Musikwissenschaftler und Vertreter staatlicher Institutionen, die die nationalsozialistische Musikpolitik durchzusetzen trachteten, zieht aber auch Texte heran, die nicht von Musikwissenschaftlern stammen, dafür aber besonders pointiert die Tendenzen musikwissenschaftlicher Forschung und deren propagandistischer Verwertung während des ‘Dritten Reiches’ verdeutlichen. Zwischen 1904 und 1932 waren in elf deutschen Universitäten Lehrstühle für Musikwissenschaft eingerichtet worden. Die Disziplin hatte einen großen Aufschwung genommen, wovon zahlreiche Publikationen, kritische Editionen, historische und biographische Arbeiten Zeugnis geben. Während der zwanziger Jahre wandte sich die Musikwissenschaft immer mehr historischen Themen zu, die Verbindung zu zeitgenössischem Schaffen, bislang eine Selbstverständlichkeit, riß ab. Bereits in der Ankündigung des für Februar 1924 geplanten musikwissenschaftlichen Kongresses in Leipzig hielt Hermann Abert (1) es für angezeigt, ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß auch Aufführungen zeitgenössischer Werke in das Rahmenprogramm des Kongresses aufgenommen worden sind. Scheinbar ohne jeglichen Widerstand ging die ‘Gleichschaltung’ der Deutschen Musikgesellschaft in der Mitgliederversammlung am 30. September 1933 vonstatten, obgleich im Reichskulturkammergesetz vom 22. September des Jahres innerhalb der Reichsmusikkammer (2) kein Platz für die Musikwissenschaft vorgesehen war. Arnold Schering, Ordinarius in Berlin, regte „dringend die Umstellung der Gesellschaft im Sinne des neuen Staates zu einer Arbeitsgemeinschaft und ihren Aufbau auf Grund des Führer- und Leistungsprinzips [an]. Es sei erforderlich, die tätigen Kräfte der deutschen Musikwissenschaft zur gemeinsamen Arbeit enger zusammenzuschließen und der Gesellschaft damit neue Möglichkeiten zu geben, die Interessen und Aufgaben der Musikwissenschaft in der Öffentlichkeit zu vertreten. [...] Keiner dürfe sich ausschließen.” (3) Die Versammlung zeigte sich „grundsätzlich mit der vorgeschlagenen Neuordnung einverstanden”. (4) Arnold Schering wurde mit 19 von 24 Stimmen zum ‘Führer’ gewählt, und, „da indessen jetzt, gemäß dem Führergrundsatz, ein Wahlakt nicht mehr in Frage kommt, wird dem neuen Vorsitzenden die Ernennung der übrigen Mitglieder im Sinne des BGB überlassen”. (5) Scheinbar ohne weiteres warfen die anwesenden Musikwissenschaftler demokratische Gepflogenheiten über Bord, kurioserweise mit einem letzten demokratischen Wahlakt. Die Verluste für die deutsche Musikwissenschaft, die 1933 und in den folgenden Jahren durch die Vertreibung jüdischer und aus anderen Gründen unliebsam gewordener Musikologen entstanden, wurden in der Zeitschrift für Musikwissenschaft, in der diese Unterwerfung unter die Staatsgewalt protokolliert ist, selbstverständlich mit keinem Wort erwähnt. Neben Alfred Einstein, der die Zeitschrift von 1918 bis 1933 herausgegeben hatte, wurden unter anderen Erich von Hornbostel, Curt Sachs, Paul Bekker und später Marius Schneider aus Deutschland vertrieben. (...) 1938, anläßlich der Reichsmusiktage in Düsseldorf, die unter der Schirmherrschaft des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, veranstaltet wurden, folgte laut Rudolf Steglich „eine große Zahl [der] Vertreter [der Musikwissenschaft] [dankbar] dem Rufe [...] mitzuhelfen durch Vorträge über zeitnahe Themen insbesondere zu den Fragebereichen Rasse, Staat, Volk und Musik”. (7)
(...) (...)
Außenpolitische Ereignisse wie der Einsatz der Wehrmacht im spanischen Bürgerkrieg, das Bündnis mit Japan, Italien und Spanien (Antikominternpakt, 1936-1939), der ‘Anschluß’ Österreichs (1938) und die Annexion der sudetendeutschen Gebiete (1938), ebenso der Beginn des Krieges waren manchem Musikologen willkommener Anlaß, sich mit der Musik des betreffenden Landes zu befassen - wo immer es ging unter dem Aspekt der überlegenen ‘deutsche’ Anteile an der betreffenden Musikkultur. Von Österreich aus bejubelte Alfred Orel (8) 1938 den ‘Anschluß’ und gab seine Befriedigung darüber kund, daß nun auch aus dem österreichischen Kulturleben die „Horde jüdischer Parasiten” (9) ausgemerzt sei. Pünktlich zu Kriegsbeginn erschien in der September-Ausgabe der Musik ein Artikel über den „deutschen Geist in der polnischen Musik” von Kurt Hennemeyer, (10) eine polenfeindliche Hetzschrift im Schafspelz der Musikgeschichtsschreibung. Im Bestreben, die ‘Deutschen’ als einzige Nation darzustellen, die zu musikschöpferischen Leistungen in der Lage sei, warf der Verfasser polnischen Kollegen vor, daß sie Komponisten für die polnische Nation reklamierten, die eigentlich Deutsche seien: „Geschichtsfälschungen und Entstellungen unabänderlicher Realitäten gehören seit jeher zu den ständigen Hilfsmitteln der polnischen politischen Propaganda”. (11) Diese Vorgehensweise gehörte vielmehr zum Arsenal deutscher Musikgeschichtsfälschung, die in der Tradition einer germanozentrischen Musikgeschichtsschreibung steht, die freilich erst während des ersten Weltkriegs, der Weimarer Republik und besonders während des ‘Dritten Reiches’' kulminierte. (12) Unter Zuhilfenahme der Ahnenforschung wurde versucht, Komponisten wie Hector Berlioz, César Franck und Giuseppe Verdi der deutschen Musikgeschichte zuzuschlagen.
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HANS-WERNER BORESCH: Neubeginn mit Kontinuität. Tendenzen der Musikliteratur nach 1945

Im August 1945 wurde Thomas Mann, zweifellos einer der Prominentesten unter den Emigranten, die Deutschland in der Zeit des Nationalsozialismus verlassen mußten, von seinem Schriftsteller-Kollegen Walter von Molo dringlich gebeten, in sein Geburtsland zurückzukommen. „Kommen Sie bald zu Rat und Tat”, schrieb von Molo am Ende seines offenen Briefes. (1) Im Zusammenhang mit diesem Brief und Manns abwägender, letztlich aber ablehnender Haltung entstand eine lebhafte Diskussion um die Positionen der Emigranten und derer, die in Deutschland geblieben waren. Einer der an der öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzung Beteiligten war Frank Thieß, Schriftsteller wie Mann und von Molo, der die Einheit von ‘innerer’ und ‘äußerer Emigration’ beschwor. (2) Thieß war es auch, der auf die in gereiztem Ton verfaßte Rundfunkansprache, die Thomas Mann zum Jahreswechsel 1945/46 in der BBC gehalten hatte, polemisch antwortete. In dieser Erwiderung prognostiziert Thieß ein erneuertes Deutschland. Er schreibt:

„Sind nicht alle Voraussetzungen vorhanden, um einen neuen deutschen Geist zu erwarten? Schuld und Leid, die beiden großen eisernen Pflugscharen der Weltgeschichte, sind über un ser Volk hingegangen und haben es zerwühlt.” (3)

Die ‘Stunde Null’ wird entworfen als Katharsis einer Tragödie weltgeschichtlichen Ausmaßes, die gleichwohl durch die Reduzierung auf ‘Schuld und Leid’ nicht einzigartig dasteht, vielmehr als offenbar weltgeschichtliche Konstante die jüngste Vergangenheit relativiert. Worin besteht nun der ‘neue deutsche Geist’?

„Seien Sie versichert,” ruft Thieß Thomas Mann zu, „daß auch wir, nachdem der Verführer vernichtet wurde, uns dessen bewußt sind, keinen anderen Führer mehr zu haben, als den heller als je strahlenden Stern deutscher Weltgeltung, Goethe.” (4)

Eine Erneuerung aus der Tradition ist also gemeint. Diese Wendung zum Refugium des - auch über deutsche Grenzen hinweg - ‘fraglos Gültigen’ finden wir auch bei Friedrich Meinecke, der die Einrichtung von Goethe-Gemeinden in jeder deutschen Stadt anregte, die regelmäßig ‘musikalisch-poetische Feierstunden’ abhalten sollten. (5) Die Neubesinnung im Geiste und durch den Geist Goethes kongruiert mit einer Feststellung, die Wolfgang Horn für das Musikleben nach der Kapitulation macht: zu beobachten sei ein „zaghaft zurückkehrendes Selbstbewußtsein im Sinne des Rückgriffs auf unbelastete Kultur- Traditionen”. (6)

Goethe hatte schon im 19. Jahrhundert als nationale Identifikationsfigur fungiert (man denke z. B. an die Goethe-Biographie von Herman Grimm), so daß sich 1945 an diese Tradition zwanglos anknüpfen ließ. Zwar war Goethe keineswegs der einzige Exponent deutscher Kulturtradition, der im Nachkriegsdeutschland mit Eifer bemüht wurde, es könnte aber in seinem Falle eine Rolle gespielt haben, daß man bereits die Feier seines 200. Geburtstages im Jahr 1949 ins Auge faßte, die internationale Aufmerksamkeit - womöglich im Sinne von ‘Aufwertung’ - erwarten ließ. (6) Ein Neu-Anfang mit der Tradition also? Hier drängt sich die Frage auf, ob die Vorstellung von der ‘Unbelastetheit’ alter Kulturwerte nicht auf Wunschdenken basiert. (...) Zum Beispiel das Theater: Es „durfte dort wieder anfangen, wo es vor dem Zusammenbruch aufgehört hatte”, bemerkt Rainer Traub, (8) was auch kaum verwundert. Die erste Berliner Premiere - nach der von Goebbels verfügten Theater-Schließung - fand bereits am 27. Mai 1945 im Renaissancetheater statt (mit Franz und Paul von Schönthans Raub der Sabinerinnen): (9) Wo wäre Zeit für prinzipiell Neues gewesen? Es sei nicht zu leugnen, stellt Werner Schulze-Reimpell fest, „daß keine Aufbruchsstimmung die Theater erfaßt hatte, das ‘Theater nach der Pause’ vielmehr möglichst vertraut wirken sollte. Kein Wunder - es wurde von den gleichen Personen gemacht und verantwortet wie vor 1945”, und diese „erneuerten am liebsten Inszenierungen von 1944”. (10) Mag dieser Befund wenigstens teilweise aus schlicht praktischen Gründen erwartbar sein, so kommen jüngst veröffentlichte Studien zum Wissenschaftsbetrieb in Deutschland nach 1945 zu einem ernüchternd ähnlichen Ergebnis: Insbesondere im Westen Deutschlands habe sich der Übergang bruchlos vollzogen. (11) Der Bereich Musik ist zwar in diesen Studien nicht vertreten, doch konnte Walter Gieseler bereits vor einem Jahrzehnt lapidar feststellen:

„Die Stunde Null im Jahre 1945 ist auch für die Musikpädagogik nie dagewesen. Sie war [...] bei den meisten ein einfaches ‘Weitermachen’ da, wo der Krieg ein Aufhören erzwungen hat te”. (12)

Wenn nun - wie Hermann Glaser zusammenfassend darstellt - an Universitäten nach 1945 „eine fatale Kontinuität” überwog und wenn „die Mehrzahl der Studierenden [...] gleichgültig gegenüber sowohl restaurativen als auch reformerischen Tendenzen” blieb, (13) kann man kaum erwarten, daß es sich in der Fachliteratur hätte anders verhalten sollen. Im folgenden steht nun Fachliteratur im Mittelpunkt, nämlich Literatur über Musik, wobei allerdings von vornherein Einschränkungen vorgenommen werden müssen. Angesichts der offensichtlich vorherrschenden Meinung, das Jahr 1945 (14) markiere keinen Beginn am Null-Punkt, sollen Texte zur Diskussion gestellt werden, die das ‘Weitermachen’- offen oder verdeckt - zu erweisen scheinen: Kann man die weiteren Ausführungen somit als einseitig bezeichnen, was die Auswahl der Inhalte betrifft, so stellt die Wahl der Textsorten eine weitere Einschränkung dar: Ich beschäftige mich vornehmlich mit Texten, die nicht für Fachwissenschaftler verfaßt sind, sondern für das sogenannte ‘breitere Publikum’: Populärwissenschaftliche Einführungen, Musikzeitschriften auch für Laien, Feuilletonistisches; daneben der musikpädagogische Bereich, weil hier naturgemäß die Breitenwirkung intendiert ist.
(...) (...)

KARL HÖRMANN: „Glaube und Schönheit” - Zur Ideologisierung des Tanzes und der Körperkultur

Kaum noch bezweifelt wird, daß der Nationalsozialismus und besonders der Krieg ohne massive Unterstützung durch die nach 1945 nicht nur unbeschadet weiteragierenden, sondern durch die Währungsreform auch noch immens begünstigten Herren der Groß-, vor allem der Schwerindustrie und der Banken nicht möglich geworden wären - die Industrie hatte denn auch wie nie zuvor von der kostenlosen Ausbeutung der Zwangsarbeiter und der Ressourcen anderer Länder profitiert, während die Banken, wie erhofft, den Besitz der Geldjuden eingeheimst hatten und bis heute keinerlei Entschädigung bezahlten, wohingegen das gemeine Volk und insbesondere die ohnehin finanziell nie gutgestellten Tänzer und Tänzerinnen die volle Wucht der Auswirkungen zu tragen hatten. In ihrer apolitischen Attitüde - so wird sogar noch bei Müller/Stöckemann (1993) behauptet - nahmen sie großenteils zunächst auch nicht die unüberhörbare Kampagne Joseph Goebbels zur Kenntnis, der nach der weitgehenden Ausschaltung von Alfred Rosenberg, dem Vorsitzenden des „Kampfbunds für Deutsche Kultur”, für sie zuständig war. Goebbels, seit September 1933 Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda sowie Gauleiter von Berlin und zugleich Präsident aller sieben Kammern der Reichskulturkammer sowie der Abteilungen im Propagandaministerium, somit auch der „Abteilung VI - Theater” und der „Abteilung X - Musik”, hatte bereits zu dieser Zeit gedroht: „Es gibt auch in der Gegenwart keine tendenzlose Kunst, und gerade die, die sich am lautesten tendenzlos nennt, ist innerlich am ausgeprägtesten tendenziös. Die Kunst ist nicht nur dazu da, den Menschen zu erfreuen, sondern ihm auch Wege zu weisen. Sie ist nur eine schöpferische Übersetzung von Ideen [...]. Es steht dem Künstler wohl das Recht zu, sich unpolitisch zu nennen, in einer Zeit, in der Politik nichts anderes darstellt als schreiende Diadochenkämpfe zwischen parlamentarischen Parteien. In dem Augenblick aber, in dem die Politik ein Volksdrama schreibt, in dem eine Welt gestürzt wird, in dem alte Werte sinken und andere Werte steigen, in dem Augenblick kann der Künstler nicht sagen: Das geht mich nichts an. Sehr viel geht es ihn an. Versäumt er diese Beziehungssetzung der Kunst zu neuen Prinzipien, dann darf er sich nicht wundern, wenn das Leben an ihm vorbeirauscht”. (1) Und was der Kunstkritiker des Steglitzer Anzeigers, der Denunziant und Opportunist Robert Scholz, (2) vertrat, galt keineswegs als singuläre Meinung: „Ästhetik ist in unserer neuen Auffassung nicht etwa, was als nach trägliche Regel aus dem individuell geschaffenen Kunstwerk herausgezogen werden könnte, nicht eine Erkenntnis, welche aus der psychologischen Reflektion des Beschauens gewonnen wird, nicht ein subjektiver oder zeitgebundener Weg, sondern ein Glaube und eine Zielsetzung, die ihre Gewißheit aus der außerästhetischen Sphäre der Weltanschauung bezieht.”

„Glaube und Schönheit” war der Name der Freizeitorganisation „Bund Deutscher Mädel” (BDM), der Parallelorganisation zur „Hitler-Jugend” (HJ). Während dem 1926 als „Bund deutscher Arbeiterjugend” gegründetem HJ die 14-18jährigen Jungen angehörten, umfaßte der BDM die gleichaltrigen Mädchen. Die 10-14jährigen waren im „Deutschen Jungvolk” bzw. im „Jungmädelbund” organisiert. 1932 bekannten sich 100.000, 1933 3,5 Millionen und 1938 rund 8,7 Millionen als Mitglieder. (...) (...) Daß solche Gedanken nicht nur den Sportbereich bestimmten, sondern sich auch in dem seit 1925 an Musikhochschulen verankerten Rhythmikstudium durchsetzten und auch noch weit in unsere Tage hineinwirken, zeigt das 1963 erschienene und 1980 nochmals verlegte Buch Dynamische Pädagogik von Elfriede Feudel, die 1927 bis 1935 Lehrerin und Seminarleiterin für Rhythmische Erziehung am Städtischen Konservatorium Dortmund, 1935 bis 1943 an den Folkwanghochschulen Essen, 1943 bis 1945 Professorin an der Musikhochschule Leipzig und 1947 bis zu ihrer Pensionierung 1949 an der Musikhochschule Stuttgart war. Sie wendet sich darin gegen Unterricht und Verkopfung und definiert Rhythmik als Lebensprinzip. Auch ihr voriges Buch mit dem Titel Der Durchbruch des Rhythmischen in der Erziehung (18) ist von Wortwahl und Inhalt her im Sinne der seit 1933 zur offiziellen Anschauung erhobenen Ideologie beeinflußt. So heißt es in den von Rudolf Bode herausgegebenen Richtlinien der Fachgruppe Körperbildung und Tanz Reichsverband Deutscher Turn-, Sport- und Gymnastiklehrer im NS.-Lehrerbund: Fachschaft Gymnastik und Tanz, veröffentlicht im Sonderdruck der Deutschen Kultur-Wacht, dem Reichsorgan des „Kampfbundes für Deutsche Kultur”:

„Tiefer als das Denken ist das Körperlich-Seelische verbunden mit dem Ursprung seiner Heimat, dem deutschen Mutterschoß und dem kreisenden Blutstrom. Nur eine Leibeserziehung, welche dieser Doppelheit von Blut und Boden unterworfen ist, wird in Zukunft bestehen können. Mit einem mächtigen Sprung hat der Nationalsozialismus den jungen Deutschen den dumpfen Höhlen unnötiger Gelehrsamkeit entrissen und ihn hinausgestellt in Wind und Wetter, in Regen und Sonnenschein, und in mächtigem Strom ergießt sich der Atem der Natur wieder hinein in vertrocknete und verstaubte Menschen seelen. Aber eine zweite Natur ruht tief im Innern der Menschen und will sich auf umgekehrtem Weg entfalten, von innen nach außen. Dafür den Weg zu bereiten, den Durchbruch von innen nach außen zu erleichtern, ist die Aufgabe einer deutschen Gymnastik”. (19)

Dasselbe gilt für den Tanz, durch den das Innere ausgedrückt werden soll, allerdings wurde nun der männliche und weibliche Ausdruck geregelt. „Beim Mann entladet sich die Kraft in tanzenden Bewegungen, wobei einerseits der Stampf- und Schlagrhythmus (vgl. Schwertertanz des Mittelalters, Schuhplattlertanz in Oberbayern), andererseits die Kraftentfaltung in der Bezwingung des Körpergewichts (Springtanz) als widerständlich bevorzugt wird, bei der Frau als Äußerung schwingender Mächte. Ihre tiefere Verankerung im rhythmischen Kreislauf allen Geschehens offenbart sich in der freien schwebenden Bewegung”. (20)
(...) (...)

SIBYLLE LÜTZNER: Gebrauch und Mißbrauch: Julius Weismann - ein Komponist im Spannungsfeld nationalsozialistischer Ästhetik und Kulturpolitik

Für Komponisten in Deutschland gab es zwischen 1933 und 1945 mehrere Möglichkeiten der Reaktion auf den nationalsozialistischen Staat; das Spektrum reicht dabei von Emigration und Widerstand über Anpassung oder Opportunismus bis zu unverdrossenem Weiterschaffen in dem vermeintlichen Glauben, nur der Kunst zu dienen. Der nationalsozialistische Staat reagierte seinerseits entsprechend mit Verbot bzw. Stigmatisierung, mehr oder minder beachtetem Gewährenlassen, Förderung, Vereinnahmung und Indienstnahme des jeweiligen Komponisten und seiner Musik für die Politik. Es ist noch wenig bekannt, wie sich Julius Weismann (1879-1950) im Spannungsfeld nationalsozialistischer Ästhetik (1) und Kulturpolitik bewegt hat. Zentrale Frage meines Beitrags ist daher das Beziehungsfeld zwischen dem Komponisten und dem Nationalsozialismus. Dabei ist zu betrachten, ob und welche Beziehungen Weismann zur nationalsozialistischen Ideologie und zum NS-Staat hatte, wie er zur Zeit des Nationalsozialismus rezipiert wurde, welchen Stellenwert er im damaligen Kulturbetrieb hatte und welche Gründe für beides zu nennen sind. Soweit es die Quellenlage und der Stand meiner noch nicht abgeschlossenen Forschungsarbeit erlauben, re konstruiert mein Beitrag mit aller gebotenen Vorsicht und im Bewußtsein einer teils vorläufigen Aussage ein Mosaikstück damaliger Realität und enthält sich sämtlicher moralischer Wertungen, die derzeit weder wissenschaftlich haltbar noch der weiteren Erhellung des Gegenstands dienlich wären.
(...) (...)

JOST HERMAND: Die kulturelle Situation nach 1945

Wie auf politischem und ideologischem Gebiet sahen sich die vier Besatzungsmächte nach der militärischen Niederlage des Naziregimes auch im Bereich des Kulturellen vor zwei Aufgaben gestellt: die Liquidierung der bestehenden faschistischen Organisationen sowie den Neuaufbau einer nicht-rassistischen und friedliebenden Gesellschaftsordnung. In ihrem Wil len, einen Rückfall Deutschlands in den Faschismus ein für allemal unmöglich zu machen, waren sich die Alliierten anfangs weitgehend einig. Was ‘faschistisch’ war, hatte zu verschwinden oder sich einem drakonischen Entnazifizierungsprozeß zu unterwerfen. Alle Verantwortlichen in Rundfunk, Presse, Verlagswesen, Theater, Film, bildender Kunst und Musik wurden darum einer genauen Prüfung unterzogen und - notfalls - aus bisherigen Ämtern entfernt. Auch sämtliche Bücher, Filme, Theaterstücke, Kunstwerke und Kompositionen, welche Chauvinismus, Aggression und Rassenlehre propagiert hatten, mußten aus öffentlichen Bibliotheken, Buchläden, Verlagssortimenten, Museen, Archiven und Verleihinstituten entfernt werden. (1) Als jedoch die vier Besatzungsmächte zum Aufbau einer neuen Kultur übergingen und dabei höchst verschiedenartige Kulturvorstellungen entwickelten, begannen die ersten Schwierigkeiten. Aber diese Differenzen ließen sich bis 1946/47 noch eine Zeitlang kaschieren, da sich das Potsdamer Abkommen gegen alle zentralistischen Tendenzen ausgesprochen hatte und eine föderalistische Struktur Deutschlands begünstigte, also den ein zelnen Besatzungsmächten in den Ausführungsbestimmungen relativ freie Hand ließ. Kulturpolitisch wohl am aktivsten traten in den ersten Jahren die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion auf, während sich Engländer und Franzosen eher zurückhielten, ja im Zuge der späteren Zusammenlegung der westlichen Besatzungszonen auch auf diesem Gebiet die Füh rungsrolle zusehends den US-Amerikanern überließen. Die USA unterhielten im Januar 1947 bereits 27 Amerikahäuser und 136 Reading Rooms in ihrer Zone, in denen sie die postfaschistische deutsche Kulturelite - neben Werken der internationalen Szene - vor allem mit Kulturprodukten ihres eigenen Landes vertraut zu machen versuchten. Doch nach einer kurzen Phase der Liquidierung der faschistischen Kulturorganisationen und der von ihr geförderten Werke, sowie der Propagierung der amerikanischen, sowjetischen, französischen und englischen Kultur, sahen sich die Alliierten zwangsläufig vor die Notwendigkeit gestellt, auch die Deutschen wieder in den neuaufzubauenden Kulturbetrieb einzubeziehen und sie sogar - nach einer Zeit der Democratic Re-education - wieder mit verantwortlichen Positionen zu betrauen. Eine zentrale Rolle spielte dabei der Rundfunk, dessen Sendeanstalten den Krieg weitgehend unbeschädigt überstanden hatten und die sich deshalb sofort - auf breitester Ebene - als die effektivsten Mittel der politischen und kulturellen Meinungsbeeinflussung einsetzen ließen. Neben die Sender der vier Besatzungsmächte traten demzufolge auch einige von den Alliierten anfangs streng überwachte deutsche Sender, deren Leitung jedoch allmählich unbelasteten oder entnazifizierten Deutschen übergeben wurde. Der gleiche Prozeß spielte sich im Bereich des Zeitungswesens ab. Neben die Zeitungen der Alliierten traten auch hier, nachdem alle Zeitungsverleger des Dritten Reichs, die sogenannten Altverleger, mit einem Schlage ausgeschaltet worden waren, deutsche Lizenzträger, die zu Anfang häufig Sozialdemokraten, Kommunisten, Linkskatholiken oder Vertreter der Bekennenden Kirche waren, die sich im Widerstand gegen den Faschismus ausgezeichnet hatten. Die gleichen einschneidenden Wirkungen hatten die Verordnungen der Alliierten auf dem Gebiet des Verlagswesens. Unmittelbar nach dem Krieg wurde die Herstellung von Büchern erst einmal stark gedrosselt. Während die deutsche Buchproduktion 1932 an der Spitze aller Länder der Welt gelegen hatte und dieser Produktionsstand auch im Dritten Reich nur unbeträchtlich abgesunken war, ging sie in den Jahren 1945 bis 1947 auf ungefähr ein Zehntel ihres bisherigen Umfangs zurück. Da die Papierzuteilung den Alliierten unterstellt war, erhielten vor allem jene Verleger Papier, die eine mit der jeweiligen Besatzungspolitik konform gehende Literatur herausbrachten. So bestand etwa in der US-Zone zu Anfang 23 % der gesamten Buchproduktion aus Übersetzungen aus dem Amerikanischen. Im Bereich des deutschen Schrifttums lag in diesen Jahren der Hauptnachdruck auf der kulturellen, religiösen und moralischen Umerziehung. Und auch auf dem Gebiet des Theaters dominierten zu Anfang - neben vielgespielten US-Stücken - im Bereich der deutschen Dramatik vor allem Stücke, bei denen das Metaphysische, Erbauliche, Sittliche, Positive im Vordergrund stand, während eindeutig negativistische oder nihilistische Werke von den Besatzungsmächten ebenso ungern gesehen wurden wie alle Dramen, die sich in einem weiteren Sinne als besatzungsfeindlich verstehen ließen, darunter sogar sogenannte klassische Stücke wie Schillers Don Carlos oder Goethes Egmont. (1)
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HANNS-WERNER HEISTER: Ende und Neubeginn.

Karl Amadeus Hartmann 2. Klaviersonate 27. April 1945

1. Zum musikhistorischen Stellenwert von 1933/1945

Nachhaltiger wohl als alle anderen Zäsuren und Phasen des 20. Jahrhunderts - 1905, 1914, 1917 und 1918, 1939/1945, um 1968, 1989/90 als eine in sich nicht gleichrangige und nicht vollständige Reihe - hat der deutsche Faschismus schon um und vollends mit 1933 die Musik und Musikkultur, das Komponieren voran, polarisiert. Verstand man ihn in diesem Zusammenhang, wie teilweise er sich selbst (u. a. gemäß dem ideologisch-propagandistischen Eigennamen des „Nationalsozialismus”), als „Politisierung” der Kunst, so war nach 1945 eine naheliegende Antwort und Gegenreaktion das umso nachdrücklichere Beharren auf „unpoli tischer” Kunst, verkürzt und enthistorisiert, doch entfernt auch zugleich im Geiste jener im Zug der Aufklärung sich entfaltenden - nun vollends verabsolutierten - bürgerlichen Autonomie der Kunst. Die stalinistische Deformierung einer urprünglich linken, genuin auf gesellschaftlich-politische Reflexion der Kunstproduktion zielenden Konzeption tat hier ein übriges, um, im summarischen Namen des ‘Totalitarismus’, ebenfalls als ‘Politisierung’ abgewehrt zu werden. Solche Abstinenz vom Gesellschaftlich-Politischen war (und ist wohl noch) die Haltung der überwiegenden Mehrheit der Komponisten. Sie steht u. a. im Gefolge des gleich nach Kriegsende beginnenden und seit 1947, nach Churchills ‘Fulton-Rede’ und den in den USA unter McCarthy wiederauflebenden ‘Ausschüssen für Unamerikanische Aktivitäten’, ver stärkten ‘Kalten Kriegs’, der an der ‘Peripherie’ (von den anglo-amerikanischen und westeuropäischen Metropolen aus gesehen) stets von regional begrenzten Kriegen und Bürgerkriegen mit wirklichen Toten durchsetzt war - angefangen mit Griechenland, Indochina (seit 1945), Koreakrieg (1950-53) u. a. m. Und diese Abstinenz fügt sich den bald restaurierten alten Gesellschafts- und Machtverhältnissen nicht ohne tatkräftige ökonomische, politische, administrative Mithilfe der westlichen Besatzungsmächte. Formal dem letzteren analog waren Bestrebungen im Osten Europas (denen in Korea oder Vietnam der Norden entspricht); sie sind dort allerdings der Versuch, teils halbherzig, teils mit diktatorischen Maßnahmen, unter ungünstigen Vorbedingungen, etwas anderes, Neues aufzubauen. Dieser Versuch ist, wie bekannt, inzwischen einstweilen gescheitert; nicht ohne rückwirkende Folgen für die Geschichte. Gegenüber der herrschenden Entpolitisierung blieben nun also die Komponisten, die auf ein politisches Engagement, ein gesellschaftlich verantwortliches Komponieren zielten, zwar in der Minderheit. Allerdings sind wiederum zum einen unter ihnen einige der bedeutendsten, etwa Luigi Nono oder Hans Werner Henze, oder, mit jeweils anderen sozialen wie ästhe tischen Orientierungen, Hanns Eisler, Paul Dessau, Dmitrij Schostakowitsch u. a. Ihnen erschien ein gesellschaftliches Engagement geradezu selbstverständlich: „Die Einteilung der Kunst in politische und unpolitische, engagierte und nicht engagierte” - so z. B. Hartmann 1962 - „erscheint mir ein wenig oberflächlich, denn der Verpflichtung zur Humanität dürfte sich kein Künstler entziehen, der sich nicht dem Nihilismus verschrieben hat.” (1)
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4. Hartmanns 2. Klaviersonate. Zu Entstehung und Gesamtcharakter
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Ein zentrales Moment der Klaviersonate sind die zahlreichen Anspielungen auf präexistente musikalische Modelle und Materialien. So gibt es in Formbau und Genre-Merkmalen Bezüge auf Chopins b-Moll-Sonate op. 35 (das Scherzo als II., eine Marcia funebre als III. Satz). Dazu kommen Bezüge besonders in Kopfsatz und Trauermarsch zu Hindemiths 1. Klaviersonate Der Main (nach Hölderlin) von 1936, ein Werk, mit dem Hindemith unmittelbar seine Emigration aus Nazideutschland musikalisch antizipiert; weiter verwendet Hartmann in der einfacheren Version des Finales Material aus dem Schlußstück von Hindemiths Übung in drei Stücken op. 37.I (1). Soweit gerade dieser Bezug existiert - in Hartmanns Noten-Nachlaß findet sich allerdings just diese Sonate nicht (dennoch erscheint er plausibel) -, reicht er sogar noch weiter. Denn auch Hindemith legte hier ausgesprochen programmusikalisch das Hölderlin-Gedicht zugrunde, und zwar geradezu als Tropierung (bzw. Textierung). Das war im übrigen entgegen geläufigen Vorstellungen vom ‘Musikanten’ Hindemith kein Einzelfall. Hier speziell thematisiert Hindemith, wie erwähnt, sogar die Situation der „inneren Emigration”, des Verlusts von Heimat, mit (2) Im übrigen hatte Hartmann bereits im III. Satz seines Concerto funebre einen Satz von Hindemith paraphrasiert. Die 2. Klaviersonate bündelt also auch insofern einige stilistische Tendenzen, die generell für Hartmann wichtig waren. Denn der III. Satz ist in Satztechnik, Anlage und Gestus nach dem Modell des II. und III. Satzes von Bartóks Suite op. 14 (1916) gearbeitet. Schließlich paraphrasieren nicht weniger als drei der vier Sätze Lieder der revolutionären Arbeiterbewegung. Gerade diese wurde in der Situation der „inneren Emigration” zu einer zentralen anti-faschistischen Berufungsinstanz, und ihre Symbole zu einem Ausdrucksmittel, um deutlich und eindringlich musikalisch zu sprechen - bzw., da Hartmann vorwiegend und seit 1940 ausschließlich für die Schublade komponierte, vorerst zu schweigen mit der Hoffnung, im Danach, nach einem Neubeginn wieder Gehör zu finden. Nicht zuletzt die Zitate bzw. Paraphrasen in ihrer eindringlichen und eigenständigen kompositorischen Aneignung gegenüber der zugrundeliegenden Idiomatik ‘fremder’ Musik wirken wie musikalische Ausrufezeichen, die als Realien auf die Realität hindeuten und die Stellungnahme des Komponisten noch deutlicher machen. Sie sind einer der Gründe, die Hartmann veranlaßten, das Stück zurückzuziehen, und zugleich einer der Gründe, warum das Stück heute noch oder erst recht sperrig und querständig wirkt. Und selbstverständlich erzeugt die relative Deutlichkeit, die Hartmann gerade durch den denotativen Bezug auf solche präexistenten Lieder samt Text und Sozialkontext anstrebt, bei vielen Vertretern des mainstreams und status quo Widerstände gegen die Musik des Widerstands. Wird in der Regel neuer Musik gerne vorgeworfen, sie sei unverständlich, so in diesem Fall gerade umgekehrt, daß sie verständlich oder doch verstehbar ist.
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HANS PROLINGHEUER: Hugo Distler (1908-1942) - Der Zeitgenosse und seine Legende

1945 schlägt weder für die Kirchen noch für die Kirchenmusik eine STUNDE NULL. Der STUNDE NULL folgt ein Neuanfang. Der aber ist weder in den Kirchen noch in der Kirchenmusik gefragt. Viele alte Kirchenführer sind nach dem 8. Mai auch wieder die neuen. Wie kann unter ihnen die ‘Wende’ 1945 zur Umkehr, theologisch gesprochen, zur Buße füh ren? STUNDE NULL, die steht in allen Kirchen für WENDE RÜCKWÄRTS. Ich will das hier in Münster nun nicht etwa an dem naheliegenden Beispiel des Kardinals von Galen konkretisieren. (1) Zum einen möchte ich als evangelischer Kirchenhistoriker auch heute wieder vor der eigenen Kirchentür kehren. Zum anderen zwingt schon mein Thema dazu, mich auf die protestantische Kirchen- und Kirchenmusikgeschichte zu konzentrieren. Blicken wir 50 Jahre zurück, nach Berlin. In die Hauptstadt des altpreußischen Protestantismus, wo der lutherische Franke Hugo Distler zuletzt gewirkt hat und am 1. November 1942 gestorben ist. Nein, STUNDE NULL und Neuanfang auch nicht in der evangelischen Kirchenprovinz Berlin-Brandenburg. Dort gibt der selbsternannte Bischof Otto Dibelius nach Hitlerei und Holocaust sogar die Parole aus: „Wir fangen da wieder an, wo wir vorher gestanden haben”. (2) Das aber heißt im Jahr 1945: WENDE RÜCKWÄRTS ins Jahr 1932! 1932, als deutsche Kirchen und Christen Ausschau halten nach dem „starken Mann”, nach einem politischen Retter aus der verhaßten demokratischen Republik; 1932, als der Jugendpfarrer Otto Riethmüller den Choral „Herr, wir stehen Hand in Hand” dichtet, jenen zündenden Bittgesang für die Kirchenkämpfer, die seit 1918 gegen Demokraten und Sozial demokraten, gegen Marxismus und Pazifismus, gegen Kommunismus und andere „Gottlosigkeiten” zu Felde ziehen; ein Kampflied, in dem es heißt:

„Wetterleuchten allerwärts, schenke uns das feste Herz. Deine Fahnen ziehn voran, führ uns auch nach deinem Plan. Mach in unsrer kleinen Schar Herzen rein und Augen klar, Wort zur Tat und Waffen blank Tag und Weg voll Trost und Dank.” (3)

Die WENDE RÜCKWÄRTS hat 1945 nur einen Mangel: Was tun mit der politischen Vergangenheit der Kirche von 1933 bis 1945? - Schließlich hat sich derselbe Otto Riethmüller 1933 für die Gebetserhörung bedankt mit seinem „Hitlerland”-Lied: „Kämpferland, Hitlerland, schirm dich Gottes Hand!” (4) Und das Ende vom Lied sind zwölf Jahre direkter und indirekter kirchlich-christlicher Mitwirkung an Hitlerei und Holocaust. Es dauert 1945 aber gar nicht lange, dann liegt auch die Entsorgung all dieser kirchlich- politischen Sündenfälle in bewährten Händen. Zum kirchenamtlichen Oberentsorger in Berlin entwickelt sich Oberkonsistorialrat Oskar Söhngen. Der „Preuße und Pietist (5) hat sich seit 1935 nicht nur als theologischer Dirigent im Evangelischen Oberkirchenrat der altpreu ßischen Landeskirche einen Namen gemacht. Als Musikdezernent der Deutschen Evange lischen Kirche ist er es, der 1936 die gesamte evangelische Kirchenmusik für „judenrein” erklärt, (6) sie 1937 mit einem „Fest der deutschen Kirchenmusik” dem Nazi-Staat politisch gleichschaltet und der Hitler-Diktatur auch fürderhin treue Gefolgschaft zusichert mit den Worten: „Wir sind bestrebt, uns des in die Sache der Kirchenmusik gesetzten Vertrauens würdig zu erweisen, und hoffen, daß das Fest der deutschen Kirchenmusik [...] nicht zuletzt dem Ansehen der Kultur des 3. Reiches zugute kommen wird.” (7) Als Söhngen dies schreibt, ist er gerade als Wegweiser - als der verlängerte Arm dieser Nazi-Musikkultur - in das geängstigte Leben seines Zeitgenossen Hugo Distler getreten. Hugo August Distler wird am 24. Juni 1908 in Nürnberg geboren. Seine Mutter, die Näherin Helene Distler, ist unverheiratet. Der Vater, August Louis Gotthilf Roth, ein Unternehmer aus Stuttgart, bleibt dem Sohn viele Jahre lang fremd. Als die junge Helene Distler schon bald den Deutschamerikaner Anthony Meter heiratet und mit ihm in die Vereinigten Staaten von Amerika auswandert, überläßt sie das Kind ihren Eltern, die in Nürnberg eine Metzgerei betreiben. Den wohlwollenden Großeltern bleibt wenig Zeit, auf die Nöte und Neigungen des Vereinsamten einzugehen. Da findet sich für den Heranwachsenden - neben dem Privatunterricht in Klavier und Musiktheorie - außerhalb der Volksschule und des Real gymnasiums auch nur wenig Spielraum zur Entfaltung seiner musischen Begabung. (8) Nach dem Kriege und dem Tod ihres Mannes kehrt die Mutter mit ihrem ehelichen Sohn Anton aus den USA ins Nürnberger Elternhaus zurück. Dadurch verbessert sich die Lebenssituation des Gymnasiasten Hugo jedoch nur insofern, daß für ihn fortan das schmerzende Problem seiner unehelichen Herkunft erheblich entschärft ist. Von nun an kann er die Frage nach den Eltern stets kurz und wahr beantworten: Meine „Mutter ist Witwe”. (9)
(...) (...)

GERD RIENÄCKER: Klassizismus und oder als Moderne ?

- Rings um die Oper Die Bürger von Calais von Rudolf Wagner-Régeny

Wagner-Régeny hat die Oper in den Jahren 1936-1939 als Auftragswerk der Staatsoper Berlin komponiert. Das Libretto schrieb Caspar Neher, bekannt als herausragender Bühnenbildner, mit dem u. a. Bertolt Brecht und Kurt Weill befreundet waren. Die Uraufführung fand am 29. November 1939 statt. Über das Werk in einem Symposium zu sprechen, das sich der vermeintlichen Stunde Null, d. h. dem Zusammenbruch und Neubeginn widmet, ist dem ersten Blick abwegig. Dem zweiten jedoch offenbart sich, daß Wagner-Régeny nicht nur an Wiederaufführungen dieser Oper gelegen war, sondern daß er sie bis zu seinem Tode 1969 als zentrales Werk bewertete, als jenes zumindest, das seine politischen und ästhetischen In tentionen am sinnfälligsten artikulierte, und dies über alle Wandlungen hinweg, denen er ausgesetzt und verbunden war. Dem nachzugehen ist schulmäßiger Werk-Analyse nicht möglich. Vielmehr soll die Oper eingeordnet werden in übergreifende Maximen und Reflexionen des Komponisten, darin Kontinuität und Diskontinuität sich befremdlich vereinen: Sie haben mit jenen zwanziger Jahren zu tun, die es auch im Osten Deutschlands heraufzuholen galt, nachdem der Nationalsozialismus sie zu nicht geringen Teilen verschüttete.

I. Zwischen alten Möbeln und Zwölfton: Rostocker Erinnerungen 1947-1950

1. Besuche. Rudolf Wagner-Régeny war mit meinen Eltern bekannt, besuchte uns viele Male, spielte und sang Lieder, die er gerade nach Texten von Bertolt Brecht komponiert hatte. Faszinierend, wie er sie sang - später hätte ich daraus eine Theorie gestischen Singens destillieren können, als ich mit Brecht-Vertonungen von Hanns Eisler, Kurt Weill und Paul Dessau mich auseinandersetzte. Aus Gesprächen war zu entnehmen, wie sehr er Brecht liebte, wie sehr er wünschte, mit ihm ständig zusammenzuarbeiten, daß er Hanns Eisler und Paul Dessau darum beneidete, Brechts Komponisten zu sein. Ein andermal verteidigte er rhythmische Übungen, die Adolf Havlik entworfen hatte - in ihnen waren Errungenschaften der Moderne systematisiert; Wagner-Régeny war begierig, sie in seinem Werk zu erproben; bei Gelegenheit sprach er über Boris Blachers variable Metren, die er gerade in eigener Klaviermusik ausprobiert hatte. Ein drittes Mal sprach er, leidenschaft licher als sonst, über die Zwölftontechnik, über Versuche, sie anzuwenden - sie beschäftigten ihn, wie ich später erfuhr, seit dem Kriegsende, und seinen Arbeiten war eigentümlich, daß er sich diese Technik schrittweise nutzbar machte. Besuchten wir Wagner-Régeny in seiner Wohnung, so fanden wir einen Dachgarten, auf den er stolz war, weil er ihn des niederen Parterres enthob, zudem Möbel aus dem 18. Jahrhundert, die ihm zur behaglichen Umgebung unerläßlich waren, ein Clavichord, darauf er häufig und ausgezeichnet musizierte: Uns spielte er Stücke von Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emanuel Bach vor; als wir fragten, ob er Klavierunterricht gebe, antwortete er, daß er Schüler nur für das Clavichordspiel nehmen wolle. Dann aber setzte er meinen Vater ans Clavichord, holte eine Blockflöte, spielte Musik des 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Auf die sogenannte Romantik war er nicht sonderlich gut zu sprechen; Richard Wagner schien er ganz abzulehnen - eben deshalb hatte er seinem Familiennamen Wagner die Bezeichnung seines Herkunftsortes Régen angehängt. Wenn von Musik positiv die Rede war, dann von alter und neuer Musik, namentlich von solcher ohne Schwulst und Bombast. Seit eh und jeh strich er seinen Kompositionsschülern überflüssige Stimmen und Akkorde weg. Daß verhalten, sparsam, gestisch zu musizieren sei, daß man der alten und neuen Musik sich gleichermaßen zuwenden müsse, ward vorgelebt als Zusammenspiel von alten Möbeln und Zwölfton, Blockflöte und Brecht. (...) (...)

Geschrieben für die ‘Stunde Null’. Das Deutsche Miserere von Dessau und Brecht

Paul Dessau, dessen 100. Geburtstag wir am 19. Dezember 1994 in seiner Geburtsstadt Hamburg feiern konnten, gehört zu jenen Flüchtlingen der Nazizeit, die die Gefahr 1933 sofort erkannten und ins Exil gingen. Dessau verbrachte sechs Jahre in Frankreich und weitere neun Jahre in den USA. 1948 ging er nach Deutschland zurück, wo er, aufgrund einer Einladung des Intendanten Wolfgang Langhoff vom Deutschen Theater in Ost-Berlin, im November des Jahres eintraf, dort Bertolt Brecht vorfand und sogleich mit den Proben zu Mutter Courage begann. „Bei unserer Rückkehr aus Deutschland hatten wir alles parat”, sagte Dessau 1974 in Erinnerung an die ‘Stunde Null’. (1) Zu diesem Gepäck aus dem Exil gehörte freilich nicht nur die Bühnenmusik zu Mutter Courage, sondern auch eine große Sammlung von didaktischen Choretüden (über den letzten Satz aus dem Kommunistischen Manifest von Marx und Engels), eine Solokantate für Sopran und Orchester nach einem Gedicht Verlaines (Les Voix), drei neue Streichquartette (darunter eines mit einer eingewirkten Huldigung an Arnold Schönberg), sowie ein abendfüllendes Oratorium mit dem Titel Deutsches Miserere, das als ein antimilitaristisches und antifaschistisches Manifest für das befreite Deutschland gedacht war. Außer der Courage wurde allerdings nichts aus diesem hochrangigen Künstlergepäck aufgeführt. „Man hat sich eben doch ein etwas idealisiertes Bild gemacht”, äußerte Dessau später etwas resigniert, (2) zumal er nun bereits fast achtzig war und beispielsweise sein Zwölftonstück Les Voix in der 1947 orchestrierten Fassung immer noch nicht hatte hören können. Dabei zählte sich Dessau stets zu jenen ‘Emigranten’, über die Brecht die Verse schrieb: „Immer fand ich den Namen falsch, den man uns gab: Emigranten. […] Vertriebene sind wir, Verbannte. Und kein Heim, ein Exil soll das Land sein, das uns da aufnahm.” (3)

Die Vereinigten Staaten waren das wichtigste Zufluchtsland für die Menschen, die ab 1933 aus Deutschland, später dann aus ganz Europa zu fliehen versuchten. Wer einen Platz auf einem Schiff ergattert und die Visaschwierigkeiten überwunden und auch etwas Geld hatte, war in den USA sicher. Viele wollten von Deutschland nichts mehr wissen. Sie fühlten sich bis auf den Grund ihrer Seele getroffen von einem Regime, das ihnen die Menschenwürde absprach und sie mit dem Tode bedrohte. Sie konnten es den Deutschen nicht verzeihen, daß sie nicht für die Unschuldigen eingetreten waren und die Augen vor den millionenfachen Morden verschlossen hatten. Sie beantragten die US-amerikanische Staatsbürgerschaft, die sie nach einigen Jahren Wartezeit auch erhielten. Das Asylland wurde ihnen zu einer neuen Heimat.

Eine andere Gruppe, zu der (wie gesagt) auch Paul Dessau gehörte, betrachtete die Jahre in den USA als eine Wartezeit, (...) *** Dessau und Brecht hatten sich verrechnet, als sie meinten, mit ihrem Volksoratorium Deutsches Miserere zur mentalen Gesundung der Deutschen in der ‘Stunde Null’ beitragen zu können. Das Werk wurde 20 Jahre lang nicht aufgeführt, weder in der DDR, der es zu formalistisch und zu pazifistisch war, noch in der BRD, der es ebenfalls zu pazifistisch und zudem zu kommunistisch war. Und außerhalb Deutschlands war das Stück geradezu fehl am Platz. Besonders natürlich auch in den USA, wo es entstand. Der subtile Gedanken- und Gefühlsgang, der auf ein Erbarmen für den kleinen Mann – und sei er auch deutscher Soldat gewesen – gerichtet ist, hätte in den Ländern der einstigen Allierten nur Mißverständisse hervorrufen können. (...) (...)
 

HANS GERHOLD: Revuen des Untergangs und Melodien des Aufbaus.

Deutsche Filmmusik zwischen 1942 und 1948

Man hat hunderte Male die Gesetzmäßigkeiten des Filmes formuliert,seine Dramaturgie , seine Montageprinzipien, seine dynamischen Geheimnisse - aber das Zelluloidband ist ewig entfesselt wie der Niagara und spottet aller Theorien. Charles Spencer Chaplin

Ich kann mir so viel Wagner nicht anhören, verstehst du? Ich spüre dann den Drang, in Polen einzumarschieren.
Woody Allen: Manhattan Murder Mystery

I. Film und Faschismus

Woody Allens Bonmot weist in seiner Verbindung von Musik und Historie auf das tertium comparationis dieser für ihn typischen Dialog-Methode: auf die politische Funktion von Kunst. In den zwölf Jahren zwischen 1933 und 1945 wurden in Deutschland Film und Kino in paradoxerweise gleichzeitig brachial und total und subtil organisierter Weise für die Zwecke des Nationalsozialismus instrumentalisiert. Das läßt sich numerisch einmal daran ab lesen, daß von den 1094 Spielfilmen, die in dieser Zeit produziert wurden, nicht einmal ein Sechstel reine Propagandafilme waren. (1) Allerdings dienten sie eindeutig jenem Ziel, das Joseph Goebbels, der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, so formuliert hatte: „Stehen die Deutschen einmal alle in Reih und Glied, dreißig Millionen Trottel, dann ist das ewige Reich Ahasvers angebrochen.” (2) Die NS-Ideologie, die auf die Gleich schaltung, Einheitlichkeit und Selbstaufgabe des als ‘Volkskörper’ apostrophierten Untertanenheeres setzte, ist nicht denkbar ohne ihre Herleitung von der Form bürgerlicher Herrschaft, die als faschistische Ideologie autoritäre Denkmuster und Verhaltensformen produzierte. In einer makabren Umkehrung der Zementierung dieses totalitären Gedanken fundus bezeichneten die Nationalsozialisten ihre Bewegung als „revolutionäre”. Nichts könnte falscher sein, zumal der Kern ihrer Ideologie auf das genaue Gegenteil ausgerichtet war, nämlich auf der in die Praxis umgesetzten Überzeugung, daß „die geschichtlich gewordenen und folglich veränderbaren gesellschaftlichen Verhältnisse als naturgegeben und folglich unabänderlich dargestellt” (3) wurden. Insofern mußten die Herrschenden politische und geistige, kulturelle und filmische Mittel einsetzen, um das Volk, um die Massen an der Einsicht und Durchschaubarkeit seiner eigenen Interessen zu hindern. Der Faschismus als Voraussetzung solchen Denkens stützt sich auf sechs Motive mit fest umrissenen Funktionen. (4) a) Die Gemeinschaftsideologie, die soziale Gegensätze verschleiert, die Interessen der Herrschenden für die Interessen der Gesamtheit ausgibt und die öffentlichen Auseinandersetzung über das Gemeinwohl, wie sie in Demokratien möglich sind, unterdrückt. b) Die Ideologie von Führertum und starkem Staat, die von allen Störfaktoren freigehalten wurde. Sie beruht ihrerseits auf der Idee einer Autorität, die die Gesellschaft nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam ausrichtet, Kritik und Opposition ausschaltet und eine straffe hierarchische Über- und Unterordnung organisiert. Psychoanalytisch ergibt sich daraus für das Individuum, daß es in einer infantilen Grundstruktur steckenbleibt, die selbständiges Denken verhindert und in Entscheidungsschwäche resultiert. c) Die Eigentumsideologie, die trotz aller divergierenden Klasseninteressen verschiedene soziale Schichten zumindest zeitweise verband und auf die Kanonisierung des Privateigentums setzte. d) Antikapitalistische Tendenzen, die im Zusammenhang des reaktionären faschistischen Geschichtsbildes auf eine Gesellschaft von Kleinhändlern und Kleinproduzenten abzielte, also den vorkapitalistischen kleinbürgerlichen Impetus herauskristallisierte. e) Die Sündenbockphilosophie, die angesichts der relativen Undurchschaubarkeit komplexer Gesellschaften mit Feinbildern operierte, das eigene Selbstgefühl stärken sollte und nützliche Aggressionsobjekte in Form von rassischen, nationalen oder religiösen Minderheiten (Farbige, Fremdarbeiter, Juden) anbot. f) Militarismus und Imperialismus, die als Vorbilder sozialer Organisationsformen bzw. als kolonialpolitischer Expansionsdrang fungierten. Das Militär formte den Soldaten als Idealbild des Menschen, der Imperialismus das Bild der Größe der Nation. Beide vereinen sich ideal im Krieg. Der Krieg erst verleiht dem Faschismus seine Konsistenz, weil all seine durchaus divergierenden Komponenten dort in geballter Kraft wirksam werden.

Der Film als audiovisuelles Massenkommunikationsmittel mit seinen vielfältigen Möglichkeiten medialer, individueller und historischer Manipulation ist einerseits vor dem Aufkommen unseres Zeitalters ein willkommenes Instrumentarium zur Propaganda. Andererseits nützt sich kontinuierliche Massenbeeinflussung ab, schlägt möglicherweise wegen der standardisierten Formel ins Gegenteil um. Noch einmal: von den 1094 Spielfilmen waren weniger als ein Sechstel reine Propagandafilme. Hier setzt die subtilere Beeinflussungmaschinerie der Nazis ein. Kino und Film waren im Zuge der Gleichschaltung seit dem 22. September 1933 endgültig in der Reichsfilmkammer als Einzelkammer der Reichskulturkammer organisiert, die in zehn Abteilungen gegliedert war. Die Filmwirtschaft wurde in Etappen verstaatlicht, was im Frühjahr 1942 abgeschlossen war. Der Film hatte Priorität vor den anderen kulturellen und künstlerischen Ausdrucksmitteln, weil er durch seine Eigenschaft, primär Emotionen anzusprechen, ein geeignetes Mittel zur Wirkung auf die breiten Massen war. In einer Rede vor der Reichsfilmkammer von 1937 erläuterte Goebbels seine Vorstellungen: Demnach müßten die Stoffe aus dem Leben genommen werden, sie sollten das „Herz ergreifen”, die Bearbeitung solle filmischen Eigengesetzlichkeiten Rechnung tragen, die Dialoge sollten in der Sprache des Volkes geschrieben sein, so daß jeder sie verstehen könne, die Besetzung sei das Kardinalproblem überhaupt. (5) Zu den Gattungen, die besonders gepflegt wurden, gehörten Komödien, Musik-Komödien, Revuefilme, Literaturverfilmungen, historische Biographien von Königen und Staatsmännern, aber auch von Künstlern, Zirkusfilme, Kostüm-, Berg- und Heimatfilme, die dramatische Komödie, exotische Abenteuerfilme sowie utopische Filme. Man pflegte einen Hollywood imitierenden Starkult um Schauspieler und Schauspielerinnen, die gewissen Typen entsprachen, so im Bereich der Frauenrollen. Cinzia Romani (6) zählt fünf Ausprägungen der Nazi-Diven auf: a) Die Damen, die das mondäne Leben verkörpern, sogenannte ‘reife Frauen’, die von Olga Tschechowa, Lil Dagover und Henny Porten verkörpert wurden. b) Die ‘femme fatale’, die für die Welt der Träume und die Kunst der Verführung steht. Herausragendes Beispiel ist Zarah Leander, die während der Hitlerzeit am meisten gefeiert wurde und 1943, nachdem ihre Berliner Villa ausgebombt war, in ihre schwedische Heimat zurückkehrte, wo sie bis 1949 Auftrittsverbot hatte. Zu den weiteren Vertretern dieses Typus zählen die tschechische Schauspielerin Lida Bárová, deretwegen Goebbels plante, Frau und Kinder zu verlassen, und Brigitte Horney sowie in geringerem Maße Sybille Schmitz. Man muß anfügen, daß die ‘femme fatale’, der Vamp, jedoch stark verfremdet wurde und sich dem deutschen Frauenideal anzupassen hatte. c) Die Unterwürfigen, also die Frauen, die sich verlieben, um zu leiden und den Geliebten fast sklavisch anhimmeln. Zu ihnen gehören die im Volksmund ‘Reichswasserleiche’ getaufte Kristina Söderbaum, Luise Ulrich, die als Selbstmörderin in Regine ihr Verlobungskleid trägt, und Heidemarie Hatheyer, die in Ich klage an! auf Wunsch ihres Mannes stirbt. d) Die Mädchen von nebenan, die größte Gruppe von Frauenrollen. Ehrlich und aufrichtig, von beherrschter Sinnlichkeit und mit kameradschaftlichem Blinzeln stellen sich Lilian Harvey, Renate Müller, Grethe Weiser, Paula Wessely, Ilse Werner und Marianne Hoppe vor die Kameras. e) Die Spitzbübischen wie Käthe von Nagy oder Marika Rökk, die temperamentvoll, heiter, ungeduldig und frech und unbefangen die Männerwelt mit Ohrfeigen beim Autostopp bedenken oder beschwipst im Sessel des unbekannten Mannes einschlafen, was natürlich nicht ausgenutzt wird.

II. Vom Tanz in der Traumfabrik

Das Jahr 1942 sah in der Chronologie der wichtigen Ereignisse unter anderem am 10. Januar die Gründung der Ufa und damit den Abschluß der Verstaatlichung der Filmindustrie, am 20. Januar die Wannsee-Konferenz, die die ‘Endlösung der Judenfrage’ und den Beginn des systematischen industriellen Völker- und Massenmords an sechs Millionen Juden bedeutete, am 24. September den Beginn der Schlacht um Stalingrad, am 4. Oktober die Gegenoffensive der Engländer in Nordafrika, am 8. November den Beginn der alliierten Landungen in Nordafrika und am 22. November den Beginn der russischen Gegenoffensive, die am 2. Februar 1943 Stalingrad von den Deutschen befreite. In dieser Situation, die längerfristig gesehen einen Sieg der deutschen Truppen schon zu diesem Zeitpunkt unmöglich machte, setzte Goebbels auf die Festigung der Moral an der Front wie in der Heimat. Geplant waren fast ausschließlich Unterhaltungsfilme, deren Zahl von 131 im Jahre 1934 auf 39 bzw. 37 in den Jahren 1941 und 1942 zurückgegangen war. 1943 jedoch werden die Studios noch einmal ausgelastet, und es entstehen 72 Filme, im folgenden Jahr 1944 noch 66 Filme. 1945 schließlich können inmitten der Ruinen von den geplanten 72 Filmen noch 44 fertiggestellt werden, von denen 21 erst nach Kriegsende herauskamen. Da die Unterhaltungsfilme Priorität genossen und Komödien und Musikfilme über die Hälfte der Gesamtproduktion ausmachten, kam es den Produkten der leichten Muse zu, die Menschen abzulenken und zu zerstreuen. Hier liegt das, was ich die sekundäre politische Instrumentalisierung der Bewußtseinsindustrie nennen möchte. Gehorchen Propagandafilme und Durchhaltefilme der direkten primären politischen Instrumentalisierung, so meint die sekundäre politische Instrumentalisierung folgende Verfahrensweise: In auf den ersten Blick unpolitischen, unterhaltenden Filmen finden sich Versatzstücke alltäglicher Rhetorik und Rudimente politischer Bekenntnisse, die zunächst ohne Beeinflussungsmechanismen erscheinen mögen, aber in Verbindung mit ihren Ablenkungsfunktionen genau das politische Ziel der Macher erreichen. Das heißt: Wer sich in der Traumwelt des Films verliert, wer der harten Realität für gewisse Zeit entkommt, wird auch beim Wiedereintauchen in den Alltag nicht so schnell die schönere Wirklichkeitsebene des Mediums Film vergessen und den Zauber zu wiederholen versuchen. Das heißt aber auch, daß er mit der Bindung an den schönen Schein gewisse Teile seines politischen Bewußtseinskanons an der Kasse abgibt und möglicherweise durch diese Dauereffekte nicht wiederfindet. Ein derart entpolitisiertes Publikum ist leichter zu beeinflussen, zumal von den Filmen unterschwellig oder bewußt propagierte Werte wie Ehre, Treue, Soldatentum, Vaterland, Selbstaufgabe, Kameradschaft und Gehorsam sowie die unbedingte Liebe zu Familie und Heimat immer eine Rolle gespielt hatten. Dazu zwei Beispiele. In dem Film Die große Liebe (1942, Regie: Rolf Hansen) folgt Zarah Leander als Sängerin ihrem geliebten Fliegeroffizier auf seine Einsatzstationen. Die verwöhnte Primadonna singt vor deutschen Soldaten in Paris und reiht sich zum Schluß in die Gemeinschaft der Hausbewohner ein, die den Luftschutzkeller aufsuchen. Sie hat gelernt, was die Pflicht verlangt. Besonders der Walzer „Davon geht die Welt nicht unter”, der die Soldaten zum gemeinsamen Schunkeln in kargen Stuhlreihen animiert, fordert das Prädikat „Durchhaltelied” heraus. Karsten Witte hat zwar darauf hingewiesen, daß die Hyperbel „Davon geht die Welt nicht unter, sie wird ja noch gebraucht” weniger der immanenten Unterhaltungsvision gelte, sondern der „grandiosen Verheißung”, (7) aber ich halte diese Relativierung für zweifelhaft, auch wenn Witte argumentiert, Die große Liebe, uraufgeführt am 12. Juni 1942, gehöre ja noch zu den Vor-Stalingrad-Filmen. Die große Liebe ver zeichnete bis 1943 rund 27 Millionen Zuschauer und war der meistgesehene deutsche Film. (...) (...)

IV. Die Trümmer der Besatzungszeit

Die ersten vier Nachkriegsjahre vor der Gründung von BRD und DDR im Jahre 1949 sehen unter den Militärverwaltungen der Alliierten in den vier Besatzungszonen unter anderem die Gründung der DEFA im Mai 1946, die Zunahme der Kinobesuche von 150 Millionen Zuschauern 1945 bis 467 Millionen im Jahre 1949, und die Wiedereröffnungen der Kinos, soweit sie nicht ausgebombt waren: Von den 6484 Lichtspieltheatern des Deutschen Reiches waren etliche zerstört worden. Wiedereröffnet wurden 1945 im Gebiet der westlichen Besatzungszonen 1150 Kinos, was sich bis Ende 1948 auf 2950 Kinos steigern sollte (zum Vergleich: 1994 lag die Zahl der Kinos bei circa 3300). Das Filmangebot war geprägt von den Filmindustrien der Siegermächte. Die erste Uraufführung eines deutschen Films nach dem Kriege gelang der DEFA am 15. Oktober 1946 mit Wolfgang Staudtes Die Mörder sind unter uns. Der erste in den westlichen Besatzungszonen uraufgeführte Film folgte mit britischer Lizenz am 20. Dezember 1946: Sag die Wahrheit von Helmut Weiss. Helmut Käutner, dessen Camera-Film-GmbH in Hamburg im Mai 1946 von den Briten lizensiert worden war, konnte sein In jenen Tagen am 13. Juni 1947 herausbringen. Erster Film mit amerikanischer Lizenz war Und über uns der Himmel von Josef von Baky mit Hans Albers, der am 8. Dezember 1947 uraufgeführt wurde. Bis Ende 1948 entstanden 43 deutsche Spielfilme, zwölf von der DEFA und 31 im Westen produziert. Die Werke jener Jahre werden in der filmwissenschaftlichen Literatur als „Trümmerfilme” geführt, weil die meisten von ihnen sich mit den Problemen der Nachkriegszeit direkt befaßten. Man wich Hunger, Armut, Schwarzmarkt, Vertreibung, Heimkehrern und den Nöten des Wiederaufbaus keineswegs aus. Um die Schuldfrage oder die kritische Aufarbeitung der NS-Zeit war es etwas anders bestellt. Da wagten sich nur wenige Filme heran, unter anderem Staudtes Die Mörder sind unter uns und Rotation (1949). Den Fragen nach den Ursachen wurde verlegen aus dem Weg gegangen. Vielfach betonte man den Vorrang der Lösung privater Probleme in Zeiten materieller Not. Viele der Filmschaffenden der NS-Zeit konnten bruchlos weiterarbeiten, ob bei der DEFA oder in den dreizehn bis 1948 entstandenen Filmproduktionsgesellschaften im Westen. Unter den Musikern, die für die Ufa gearbeitet hatten und nach dem Krieg wieder an ihre Partituren gehen konnten, sind Namen wie Werner Eisbrenner, Herbert Trantow, Alfred Strasser oder Wolfgang Zeller zu finden. Thiel berichtet, daß sie in ihren Kompositionen vielfach die neoromantische Klangwelt der Nazi-Zeit wiederaufleben ließen und in ihren Werken „eine unheimliche Kontinuität in diesen neuentstehenden, aber stilistisch gestrigen Filmpartituren” (1) zeigten. (...) (...)

Die Autoren

Hans-Werner Boresch, geboren 1956. Studium der Musikwissenschaft und der Germanistik in Bochum (1981 Staatsexamen); 1990 Promotion in Bochum (Besetzung und Instrumentation. Studien zur kompositorischen Praxis Johann Sebastian Bachs, Kassel etc. 1993). Seit 1986 als Musikwissenschaftler im Fach Musikpädagogik an der Bergischen Uni versität - GH Wuppertal tätig, von 1997 an als Akademischer Oberrat.

Thomas Eickhoff, geboren 1966. Studium der Musikpädagogik, Musikwissenschaft und Germanistik an der Universität Münster. Staatsexamen 1991. 1995 bis 1997 Referendariat. Promotion 1996 in Wuppertal (Politische Dimensionen einer Komponisten-Biographie im 20. Jahrhundert - Gottfried von Einem, Stuttgart 1998). Im Sommersemester 1999 Lehrstuhlver tretung im Fach Musikpädagogik an der Bergischen Universität - Gesamthochschule Wuppertal. Publikation zahlreicher Aufsätze und der Monographie Kultur-Geschichte der Harmonika. Armin Fett - Pädagoge und Wegbereiter der Harmonika-Bewegung (Kamen 1991). Derzeit Arbeit an einer Habilitationsschrift über Künstlerprofile im National sozialismus.

Hans Gerhold, Jg. 1948. Filmhistoriker, lebt als freier Journalist in Münster. Zahlreiche filmkundliche und filmhistorische Aufsätze. Autor einer Monographie über Jean-Pierre Melville, von Kino der Blicke. Der französische Kriminalfilm (1989) und von Woodys Welten. Die Filme von Woody Allen (1991).

Detlef Gojowy, geboren 1934 bei Dresden. Musikwissenschaftler, Slawist, Germanist. Dr. phil. 1966 in Göttingen (Neue sowjetische Musik der 20er Jahre, Neufassung: Laaber 1980). Bis 1997 Redakteur für Neue Musik am WDR. Mitglied des J. G. Herder-Forschungsrates, der Accademia Filarmonica di Bologna, des Arbeitskreises Kultur des XX. Jahrhunderts der Universität Zagreb, Autor im Freien Deutschen Autorenverband. - Weitere Buch veröffentlichungen: Rowohlt-Monographie Dimitri Schostakowitsch (Reinbek b. Hamburg 1983), Alexander Glasunow, sein Leben in Bildern und Dokumenten (München 1986), Arthur Lourié und der russische Futurismus (Laaber 1993), [Hrsg.] Augustyn Bloch, ein Komponistenleben in Polen (Köln 1999). Veröffentlichungen, Sendungen, Gastvorlesungen etc. zur Avantgarde in Ost- und Ostmitteleuropa; literarische Arbeiten.

Louise Hanckel, Dipl.-Psychologin, geb. 1924 in Bochum. Vater: reformierter Pfarrer, 1933 Mitbegründer des Pfarrernotbundes. Studium der Schulmusik an der Leipziger Musikhochschule (Mai 1943 bis Herbst 1944). Studium der Musikwissenschaft in Göttingen (Herbst 1945 bis 1947). Studium der Psychologie an der Ruhr-Universität in Bochum (1971- 1978). Verheiratet, zwei Söhne, konfessionell nicht gebunden.

Hanns-Werner Heister, geb. 1946 in Plochingen/Neckar, studierte Musikwissenschaft, Germanistik und Linguistik in Tübingen, Frankfurt/Main und Berlin (TU). Promotion 1977, Habilitation 1993 an der „Carl von Ossietzky”-Universität Oldenburg. 1971-1992 freiberufliche musikjournalistische Tätigkeit für Radio, Presse und Fernsehen. WS 1992 bis SS 1998 Professor für Musikkommunikation, Musikgeschichte an der Musikhochschule „Carl Maria von Weber” Dresden, seit WS 1998/99 für Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Veröffentlichungen zur Methodologie der Musikwissenschaft, zur Musikästhetik und Musiksoziologie, zu politischer, populärer und Neuer Musik, zu Musik im Nationalsozialismus, im Widerstand und im Exil, zu Opernästhe tik und -geschichte, zu Medien und Institutionen der Musikkultur, u. a. Das Konzert. Theorie einer Kulturform, 2 Bände (1983), Jazz (1983); Mitherausgeber und Autor der Bücher Musik und Musikpolitik im faschistischen Deutschland (1984), Musik, Deutung, Bedeutung. Festschrift für Harry Goldschmidt zum 75. Geburtstag (1983), Der Komponist Isang Yun (1987, 2. erweiterte Auflage 1997), Loseblatt-Lexikon Komponisten der Gegenwart (seit 1992), Zwischen Aufklärung und Kulturindustrie. Festschrift für Georg Knepler zum 85. Geburtstag (3 Bände, 1993), Musik im Exil. Folgen des Nazismus für die internationale Musikkultur (1993), Angefügt, nahtlos, ans Heute. Zur Arbeit des Komponisten Georg Stäbler. Standpunkte, Analysen, Perspektiven (1994), „Stimmen” zum 70. Geburtstag von Hans Werner Henze. Analyse und Interpretation der 22 Lieder aus Henzes „Voices”, Musik/Revolution (3 Bände, 1996/97). Mitherausgeber und Autor der Reihen Musik in Dresden (seit 1993), Musik im ‘Dritten Reich’ und im Exil (seit 1996). Herausgeber und Autor der Reihe Zwischen Töne. Musik und andere Künste (seit 1995). Wissenschaftlicher Leiter des Forschungs- und Ausstellungsprojekts ‘Entartete Musik’ 1938 - Weimar und die Ambivalenz an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar (1997-1999).

Jost Hermand, geb. 1930 in Kassel. Studium der Geschichte, Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie in Marburg. 1955 Promotion. Seit 1958 Professor of German an der University of Wisconsin in Madison (USA). Zahlreiche Gastprofessuren als Historiker, Germanist, Kunstwissenschaftler und Musikwissenschaftler an amerikanischen und deutschen Universitäten. Einschlägige Publikationen: Kultur im Wiederaufbau. Die Bundesrepublik Deutschland 1945-1965 (1986); Der alte Traum vom neuen Reich. Völkische Utopien und Nationalsozialismus (1988); Beredte Töne. Musik im historischen Prozeß (1991); Judentum und deutsche Kultur. Beispiele einer schmerzhaften Symbiose (1995); Avantgarde und Regression. 200 Jahre deutsche Kunst (1995).

Hörmann, Karl, Schul- und A-Kirchenmusiker, Dipl.-Musikpädagoge, zur Ausübung der Heilkunde berechtigter Therapeut (Heilpraktiker), seit 1986 Leiter des In stituts für Musik- und Tanzpädagogik, Deutsche Sporthochschule Köln. 1. Preis im Klavier-Wettbewerb in Tübingen. Prämierung der Dissertation. Nach dem 2. Staatsexamen Lehrer an den Gymnasien Breisach, Waldkirch, Freiburg und Donaueschingen, an der Grundschule Heimbach und an der Realschule Münster. Wissenschaftlicher Assistent in Freiburg, Akademischer Rat und apl. Professor in Münster. Dort Zusatzstudiengang für Musiktherapie gegründet. Leiter des Projekts „Berufsbegleitende Akademische Fortbildung Musik- und Tanztherapie” und Lehrbeauftragter der Karls-Universität Prag (seit 1994). Schwerpunkte: Tanzgeschichte und Musik- und Tanztherapie Buchpublikationen (Auswahl): Studien zur Motivation im Musikunterricht. Ein Beitrag zur Didaktik des psycho-physischen Musikverstehens, Regensburg 1977; Das Lied in Unterricht und Therapie als Medium erfahrungsorganisierender Musik- und Selbstwahrnehmung, Bern/Frankfurt a. M./New York 1986; Durch Tanzen zum eigenen Selbst, München 1991; [Hrsg.] Tanztherapie. Beiträge zur angewandten Tanzpsychologie, Göttingen 1993; [Hrsg.] Ethno Tanztherapie: Kulturvergleichende Perspektiven, Berlin 1997 (Jahrbuch für Transkulturelle Medizin und Psychotherapie 8).

Brigitte Kruse, geb. 1953 in Freital. Studium der Musikwissenschaft und Forschungsstudium an der Humboldt-Universität Berlin. Dissertation Studien zur Musikgeschichte der Bundesrepublik Deutschland und Westberlins 1945 bis ca. 1960 (1984). 1978-1996 wissenschaftliche Assistentin am Bereich / Institut für Musikwissenschaft der Humboldt-Universität Berlin bei Prof. Heinz Alfred Brockhaus und Prof. Gerd Rienäcker. Arbeitsgebiete: Neuere Musikgeschichte, insbesondere des 20. Jahrhunderts, musikalische Analyse.

Sibylle Lützner, geb. 1963 in Frankfurt/Main, Studium der Musikwissenschaft, Komparatistik und Amerikanistik in Mainz; musikpädagogische Studien in Wiesbaden (Hauptfach Klavier, Staatliche Musiklehrerprüfung) und Mannheim (Elementare Musikpädagogik, Diplom); seit 1987 musikpädagogisch-fachjournalistische Tätigkeit; seit 1984 Musikschullehrerin; Fachberaterin des Verbandes deutscher Musikschulen seit 1997; Promotion über Julius Weismann in Vorbereitung.

Bernhard Müßgens, geb. 1959, studierte in Duisburg Musik und Deutsch für das Lehramt an Grundschulen, anschließend in Münster Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie - 1988 Promotion in Musikwissenschaft, 2. Staatsexamen, bis 1994 wissenschaftlicher Assistent am Institut für Musik- und Tanzpädagogik der Deutschen Sporthochschule Köln, danach Grundschullehrer in Rheinland-Pfalz, Lehrauftrag am Seminar für Musikdidaktik der Universität zu Köln, 1996 Habilitation in Musikpädagogik. Seit 1997 Professor für schulische Musikpädagogik am Institut für Musik/Musikwissenschaft der Universität Osnabrück.

Peter Petersen, geboren 1940, ist Professor für Musikwissenschaft an der Universität Hamburg. Er wurde mit einer Arbeit über Die Tonalität im Instrumentalschaffen von Béla Bartók promoviert. Seine wichtigsten Bücher sind Alban Berg: Wozzeck (Musik-Konzepte 1985), Hans Werner Henze. Ein politischer Musiker (Hamburg 1988) und Hans Werner Henze. Werke der Jahre 1984-93 (Mainz 1995). Peter Petersen ist Mitherausgeber des Fischer-Taschenbuchs Musik im Exil. Folgen des Nazismus für die Internationale Musikkultur (Frankfurt a. M. 1993) und Leiter der „Arbeitsgruppe Exilmusik” in Hamburg.

Hans Prolingheuer, geb. 1930. Kirchenhistoriker. Autor zahlreicher Bücher und Aufsätze sowie von Rundfunk- und Fernsehsendungen zu kirchengeschichtlichen Themen. Lehraufträge für Evangelische Kirchengeschichte in Marburg und Siegen. Buchveröffentlichungen (Auswahl): Kleine politische Kirchengeschichte. 50 Jahre evangelischer Kirchenkampf von 1919 bis 1969, Köln 1984; Wir sind in die Irre gegangen. Die Schuld der Kirche unterm Hakenkreuz, Köln 1987.

Gerd Rienäcker, geb. am 3. Mai 1939 in Göttingen. 1959-1964 Studium der Musikwissenschaft und Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität Berlin, 1964-1966 Musikdramaturg am Landestheater Eisenach, 1967-1985 wissenschaftlicher Assistent und Oberassistent, seit 1985 Dozent, seit 1988 Professor für Theorie und Geschichte des Musik theaters an der Humboldt-Universität Berlin. Publikationen zur Geschichte der Oper und Operette, zur Instrumental- und Vokalmusik des 17., 18., 19. und 20. Jahrhunderts, zur Musikgeschichtsschreibung und Musikanalyse.

Bettina Schlüter, geb. 1967 in Gelsenkirchen. Studium der Fächer Musikwissenschaft, Neugermanistik und Altgermanistik in Bochum, Freiburg und Bonn. 1996 Promotion in Bochum über das Thema Hugo Distler/ 'Hugo Distler' - Zur Konzeptualisierung von Realität in der "Kirchenmusikalischen Erneuerungsbewegung". Seit 1996 Wissenschaftliche Assisten tin an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn.

Birgitta Maria Schmid studierte Musikwissenschaft und Romanistik an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Sie promovierte bei Ludwig Finscher mit der Arbeit Volk, Nation, Stamm und Rasse. Die Politisierung der deutschen Musik 1850-1945. Sie ist im Medienbüro der Stadt Karlsruhe beschäftigt.

Brunhilde Sonntag, geb. 1936. Studium der Pädagogik in Jugenheim/ Darmstadt; Kompositionsstudium in Wien (Gottfried von Einem); Studium der Musikwissenschaft in Marburg. 1977 Promotion (Untersuchungen zur Collagetechnik in der Musik des 20. Jahrhunderts, Regensburg 1977). Nach Lehrtätigkeit in Gießen und Münster Professorin für Angewandte Musiktheorie in Duisburg (1981-1992), seit 1992 an der Bergischen Universität - GH Wuppertal. Mitherausgeberin u. a. der Reihe Annäherung an sieben Komponistinnen (im Furore-Verlag, Kassel); Herausgeberin u. a. des Buches Nach Frankreich zogen zwei Grenadier. Zeitgeschehen im Spiegel von Musik (Münster 1992). Kompositionstätigkeit (Lieder, Orchester-, Kammer- und Klaviermusik etc.).

Lucia Sziborsky studierte Philosophie, Erziehungswissenschaft und Musikpädagogik. Nach Staatsexamen und Promotion zunächst Lehrtätigkeit im Bereich Philosophie an der Pädagogischen Hochschule Neuss, sodann an der Heinrich-Heine- Universität Düsseldorf im Bereich Erziehungswissenschaft mit den Schwerpunkten Philosophische Ästhetik und ästhetische Erziehung, Bildungstheorie, Hermeneutik. Veröffentlichungen: Adornos Musikphilosophie. Genese-Konstitution-Pädagogische Perspektiven (München 1979); F. W. J. Schelling: Über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur. Mit einer Bibliographie zu Schellings Kunstphilosophie (Hamburg 1983); Rettung des Hoffnungslosen. Untersuchungen zur Ästhetik und Musikphilosophie Theodor W. Adornos (Würzburg 1994); ferner Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken, u. a. zur Kunstphilosophie Schellings und Adornos.

Konrad Vogelsang studierte Musikwissenschaft und Philosophie. Tätigkeit als Klavierpädagoge und Diplom-Bibliothekar in Frankfurt am Main. Er veröffentlichte Monographien zu Alban Berg (1959 und 1977) sowie zur Filmmusik im ‘Dritten Reich’ und beschäftigte sich darüber hinaus u. a. mit Hanns Eisler und Dmitri Schostakowitsch.

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